Ein besonderer Ort kirchlichen LebensDie katholischen Schulen und der Pastorale Prozess

Lutz Nehk, Schulpfarrer der Katholischen Schule in Berlin-Charlottenburg. Foto: Herrmann

„Una in via“ – „Gemeinsam auf dem Weg“ – Pfarrer Lutz Nehk weist auf die Steintafel am Eingang der Charlottenburger Liebfrauenschule hin: „Una in via: das war das Motto unserer ersten Romwallfahrt.“ Im Oktober 2007 fuhr die gesamte katholische Schule in die Ewige Stadt, rund 700 Schülerinnen und Schüler und 100 Lehrerinnen und Lehrer. 2014 folgte die zweite Wallfahrt, an eine dritte ist gedacht. „Jeder, der das katholische Gymnasium besucht, soll die Gelegenheit haben, einmal mit der gesamten Schulgemeinschaft an das Grab des Apostel Petrus zu reisen“, meint Nehk. „Es ist ein prägendes Erlebnis.“

Der katholische Priester ist Schulpfarrer an Liebfrauen. Er gehört zum Lehrerkollegium, übernimmt einen Grundkurs Religion und zeigt Präsenz auf dem Schulgelände. Tage religiöser Orientierung liegen ebenso in seiner Verantwortung wie die Romfahrt. Neben den großen Schulgottesdiensten feiert er einmal pro Halbjahr mit jeder Klasse eine Messe, die er mit den Schülerinnen und Schülern der jeweiligen Klasse gemeinsam in zwei eigenen Schulstunden vorbereitet. „Die Schüler schätzen das. Sie sind unter sich und können Fragen ansprechen, die nur die Klasse betreffen“, berichtet er aus seiner Erfahrung. Künftig möchte Pfarrer Nehk auch die Elternarbeit intensivieren. Er denkt über Tage religiöser Orientierung für Eltern nach und plant einen eigenen Glaubenskurs. „Es ist für Eltern sicher interessant, zu prüfen, ob sie sich auf dem Stand des Glaubenswissens ihrer Kinder bewegen.“

Umdenken gefordert

Pfarrer Nehk versteht die Liebfrauenschule als einen besonderen Ort kirchlichen Lebens, als eine Art Gemeinde. „722 Schülerinnen und Schüler und 70 Lehrer, dazu 1.400 Mütter und Väter sowie Geschwisterkinder und Partner der Lehrer: für rund 3.000 Menschen ist diese Schule ein Ort kirchlichen Lebens mitten im Alltag.“ Er spricht von fast 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die katholisch sind. Sie kommen aus den verschiedensten Pfarreien, aus Nauen, Steglitz, Kleinmachnow, Schöneberg, zählt Nehk auf. Aber er räumt ein: „Der Großteil der Kinder und Jugendlichen hat mit dem Leben in den Pfarreien nur noch selten etwas zu tun. Das gilt ebenso für die Eltern. Die Schule ist ihr einziger kirchlicher Ort. Mit ihm stehen sie tagtäglich in Kontakt.“

Der Schulpfarrer erhofft sich daher ein Umdenken im Rahmen des Pastoralen Prozesses „Wo Glauben Raum gewinnt“: „Es darf nicht alles nur gemeindeorientiert bleiben. Vieles kann auch an der Schule passieren.“ Er spricht von Elternpastoral, Erstkommunion- und Firmunterricht, einer eigenen Taufkatechese und von einem intensivierten Kontakt zu den umliegenden Pfarreien. Lutz Nehk ist einer von drei Schulpfarrern, die es im Erzbistum Berlin gibt. Es braucht weitere solcher pastoraler Kräfte, ist er überzeugt, die an katholischen Schulen Zeit für Seelsorge, Verkündigung und Liturgie haben. „Wenn man als Priester an diesem Ort mitlebt, ist man der Pfarrer, der da ist, der die Abläufe der Schule kennt und genießt Vertrauen.“

10.000 Kinder und Jugendliche

Das Erzbistum Berlin, der Jesuitenorden und die Hedwigschwestern betreiben an 21 Standorten katholische Schulen, 18 Standorte in Berlin und drei in Brandenburg. Es gibt allein 14 Grundschulen und drei Integrierte Sekundarschulen in kirchlicher Trägerschaft. An neun katholischen Schulen kann die Allgemeine Hochschulreife erlangt werden. Zwei Schulen widmen sich Kindern und Jugendlichen mit spezifischem Förderbedarf. Und das sozialpädagogisch ausgerichtete Katholische Schulzentrum Edith Stein bietet eine Fachoberschule und Berufsfachschulen für Sozialberufe. Für knapp 10.000 Schülerinnen und Schüler sowie für 850 Lehrerinnen und Lehrer sind die katholischen Schulen ein alltäglicher Ort kirchlichen Lebens. Dazu kommen über 300 Lehrinnen und Lehrer, die in Berlin, Brandenburg und Vorpommern 20.000 Kinder und Jugendliche an staatlichen Schulen im Fach Religion unterrichten.

„Wir erleben, dass auch katholische Eltern seltener den Zugang zu den Kirchengemeinden und dem aktiven Leben dort finden. Eine nicht zu unterschätzende Möglichkeit, Kinder und Eltern mit  Glaubensfragen in Berührung zu bringen sind unsere katholischen Schulen“, ist Bettina Locklair überzeugt. Die Leiterin des Dezernats Schule, Hochschule und Erziehung im Erzbistum Berlin wünscht sich, dass sich der Blick einer Pfarrei auf „ihre“ katholische Schule verstärkt und sie intensiver als ein aktiver Teil der Gemeinde eingebunden wird. „Das Schulleben nimmt mittlerweile sehr viel Zeit der Schülerinnen und Schülern in Anspruch. Sie haben abends kaum noch Luft, sich in der Kirchengemeinde zu engagieren. Deshalb bietet es sich an, die Schule als Ort kirchlichen Lebens zu sehen und jugendpastorale Angebote in Schule zu verankern“, so Locklair. Im Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ sieht sie die Chance zur Veränderung und Weiterentwicklung von Gemeindeleben.  Von Seiten der katholischen Schule gelte es die Pfarreien als Partner zu erkennen und sich mit Orten kirchlichen Lebens zu vernetzen wie den Verbänden des BDKJ oder karitativen Einrichtungen. „Uns ist es wichtig, dass sich die katholischen Schulen spätestens in der Entwicklungsphase einbringen, dann wenn ein Pastorales Konzept erstellt wird“, unterstreicht Locklair.

Wie intensiv Schulen heute schon mit Pfarrgemeinden und Orte kirchlichen Lebens im Austausch stehen, ist von Schule zu Schule und von Pfarrei zu Pfarrei verschieden. „Wir arbeiten mit dem katholischen Kindergarten, dem Caritas Kinder- und Jugendzentrum Steinhaus wie auch mit der Pfarrei eng zusammen“, betont der Leiter der St. Mauritius-Grundschule in Berlin-Lichtenberg, Josef Souvageol. Im Sozialraum Frankfurter Allee Süd haben sich in den vergangenen Jahren die kirchlichen Einrichtungen eng vernetzt unter anderem dank des Kinderopernprojekts der Caritas. So beteiligen sich Schüler der Grundschule am Kinderopernhaus während die Schule Räume zur Verfügung stellt. Gleichzeitig soll die Schule künftig die Küche im ehemaligen Caritas-Kinder- und Jugendzentrum „Magdalena“ nutzen, berichtet Souvageol.

Austausch und Vernetzung fördern

Die Pfarrei St. Ludwig teilt sich ihre Räume und ihren Kirchhof mit der katholischen Grundschule St. Ludwig, einem katholischen Schulhort und einer katholischen Kita. Regelmäßig treffen sich Verantwortliche der Gemeinde mit den Verantwortlichen der Einrichtungen. Gemeindereferentin Martina Schulte sieht daher keinen besonderen Bedarf, sich im Rahmen der Findungsphase des Pastoralen Prozesses erneut auszutauschen. „Wir sind schon sehr gut vernetzt.“ Zweimal im Jahr lädt Schulte die 13 Religionslehrkräfte ein, die an den elf staatlichen Schulen auf dem Gebiet der Pfarrei St. Ludwig in Berlin-Wilmersdorf unterrichten. „Wir besprechen dabei, was die Gemeinde für die Schule tun kann“, erklärt Schulte. Meist gehe es um ganz praktische Fragen, wie der Besuch des Pfarrers an der Schule, eine Kirchenführung, um die Anschaffung neuer Bibeln oder die Bewerbung von Gemeindeveranstaltungen an den Schulen.

Auch die St. Franziskusschule in Berlin-Schöneberg ist räumlich eng mit der Gemeinde verbunden, der Kirchhof ist zugleich der Schulhof, die Mensa Veranstaltungssaal der Pfarrei St. Matthias. Der Kaplan der Pfarrei widmet 30 Prozent seiner Arbeitszeit dem Dienst in der Schulseelsorge. Knapp 1.000 Kinder und Jugendliche besuchen die Grundschule und die Integrierte Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe. Schul- und Klassengottesdienste feiert St. Franziskus in der Pfarrkirche St. Matthias. Einmal im Jahr richtet die Schule ein Gemeindefrühstück für die Pfarrei aus. Ebenso bereiten Schüler im benachbarten Caritas-Seniorenwohnhaus Kardinal von Galen Veranstaltungen und Gottesdienste für die Bewohner vor. Und dennoch: trotz guter Zusammenarbeit mit den Pfarrseelsorgern, bestünden weitere Entwicklungsmöglichkeiten beim Aufbau eines gemeinsamen Glaubensraums, meint Schulleiter Martin Schröder. „Im Rahmen der Findungsphase hat sich noch niemand aus den Pfarrgremien an die Schule gewandt“, gibt er unumwunden zu. Dabei gebe es durchaus noch Bedarf, die Zusammenarbeit in manchen Punkten zu verbessern. „Die Zahl der Kinder an unserer Schule, die zwar katholisch getauft, aber nicht mehr katholisch sozialisiert sind, nimmt zu. Was wir als Schule und Ort kirchlichen Lebens für diese Kinder tun können bis hin zum Erstkommunion- und Firmunterricht, das gilt es mit der Pfarrei zu diskutieren.“