„Es geht ans Eingemachte“Elmar Salmann zu Gast beim dritten Nikodemus-Gespräch

Die wirklich schmerzhaften Umbrüche stehen Christen im Erzbistum Berlin erst noch bevor. Davon ging Pater Elmar Salmann OSB beim dritten Nikodemus-Gespräch am Dienstagabend aus. Der Benediktiner, der über 30 Jahre lang als Professor an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom tätig war, sprach in der Plötzenseer Gedenkkirche Maria Regina Martyrum darüber, wohin sich die Kirche in Deutschland entwickelt. Mit Blick auf den Pastoralen Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ sagte er: „Die Not ist überall dieselbe. Die sollte man jetzt nicht klischieren und eine geistliche Enthusiasmussoße drübergießen. Sondern sagen: Wir versuchen uns dieser Notlage zu stellen.“

„Interessantes Gespräch. Hast Du denn alles verstanden?“, fragte eine Dame ihren Begleiter nach der Veranstaltung. Der Abend ließ viele der über 100 Besucher fragend und staunend zurück. „Gläubiges Staunen“ – so lautete schon der Titel des Impulsvortrages. Doch wer deshalb ein Plädoyer für die Schönheit des Glaubens erwartet hatte, wurde überrascht: Pater Elmar Salmann lieferte etwas völlig anderes. Der 68-Jährige servierte ein Menü aus Weltkirche und Westfalen, seiner Heimat. Bild- und wortgewaltig sinnierte er und hob in theologische Sphären ab, beleuchtete das große Ganze, um dann wieder konkret und beispielhaft über Veränderungen innerhalb der Kirche und seines Ordens zu berichten. „Sie werden sehen, wie sich Geistliches und Realismus miteinander mischen“, leitete Salmann seinen Impuls ein und kam dann ohne Umschweife auf die Frage zu sprechen: Wie sieht die Zukunft der Kirche in Deutschland aus?

Mit Blick auf steigende Kirchenaustritte hielt der Benediktiner fest: „Heute freilich in Westeuropa geht’s ans Eingemachte.“ Neue Strukturen kirchlichen Lebens, wie sie im Pastoralen Prozess im Erzbistum Berlin entstünden, könnten aber nur für eine Übergangszeit dienen. „Die neuen Ordnungen sind eher Notstandsverordnungen in einem implodierenden System.“ Dabei versuche man immer noch zu viel Altes zu bewahren. „Noch wollen wir den Priester an der Spitze, noch wollen wir territoriale genaue Verteilung, aber da ist eine Bruchlinie, die tiefer geht“, war Salmann überzeugt. Man müsse sich eigentlich „auf eine noch größere Minderheitensituation“ einstellen, da nicht zu erwarten sei, dass sich die Menschen wieder vom Christentum begeistern ließen.

Salmann versuchte in Kürze zu erklären, wie es zu diesem rasanten Bedeutungsverlust der Kirche kommen konnte. Denn noch vor einem halben Jahrhundert schien das Christentum in Westeuropa zu dominieren, jetzt sei es nur noch „eine marginale Erscheinung“. „Ungläubig staunend wohnen wir dieser Evolution bei“, erklärte der Benediktiner und erzählte scherzend von seinen Studienanfängen. Als er 1966 im Paderborner Priesterseminar als einer von 360 Theologen begann,  „da konnte man gut den Zölibat halten. Da hatte man Macht, und man stellte was dar“. Die Kirche habe sich seitdem stark gewandelt. Von einer „männlich sakralen Volks- und Mehrheitskirche“ habe sie sich zu einer „Kirche der gemeinschaftlichen Sinnsuche, der Solidarität, der Geschwisterlichkeit“ entwickelt. Die Zeiten, in denen Priester „donnergottartig“ von Sünde und Opfer, von Kreuz und Erlösung, von Himmel und Hölle predigten, seien längst vergangen. Genau wie die „Seinsverwurzelung“ der Gläubigen in ihrem Glauben geschwunden sei.

Heute seien Christen eher wie Nikodemus, der nur eine Nebenrolle im Evangelium spiele. „Wir sind heute solche Statisten“, sagte Salmann. „Zu Aposteln bringen wir es nicht mehr ganz, sondern wir kommen durch den Lieferanteneingang, durch den Seiteneingang.“ Am Beispiel von Nikodemus erklärte der Benediktiner auch, was er mit „gläubigem Staunen“ meine: Der Pharisäer entdecke in der Nacht, in der er zu Jesus schleiche, die „Logik der Neugeburt und des Geistes, der überall weht“. Nikodemus werde zwar in der Folge kein Anhänger von Jesus, aber er verteidige ihn später gegenüber seinen Kollegen und verleihe dessen Begräbnis Glanz, in dem er 100 Pfund Myrrhe dafür gebe. Warum er das tue? Weil er „etwas Größeres erwartet“, weil er davon ausgehe, „dass etwas möglich ist“, erklärte Salmann. Für diese Haltung plädierte er, um sich den künftigen Herausforderungen einer Minderheitenkirche zu stellen.

Ob „ökumenisch, interreligiös“, dem Modell von Taizé nachempfunden oder als eine geistliche Gemeinschaft, in der Singles und verheiratete Paare miteinander leben: Salmann skizzierte, wie die Zukunft christlichen Lebens aussehen könnte. In Berlin könne er sich auch drei oder vier „katholische Zentren“ vorstellen, die von Laien geleitet werden, „vielleicht mit einem Priester als Spiritual“, und „mit vielschichtiger Liturgie, nicht nur Eucharistiefeiern,  sondern Formen der Meditation, Andacht, Anbetung, Agape“. Salmann stellte dabei klar: „All das, was ich sage, sage ich gegen meine eigentlich bürgerlich-klassischen benediktinischen Geschmack, wie Sie sich denken können.“ Doch die Krise, in der sich die Kirche befinde, erfordere „ein wenig schöpferische, sich aussetzende Fantasie“.

Im Anschluss an den Impuls stellte der Rektor der Gedenkkirche, Pater Tobias Zimmermann SJ, dem Redner Fragen. Wie schon beim vorigen Nikodemus-Gespräch mit Wolfgang Thierse moderierte der Jesuit den Abend. Doch dieses Mal saß er keinem Politiker, sondern einem Ordensmann im Altarraum gegenüber, was bisweilen zu amüsanten Wortwechseln führte. „Benediktiner haben eine viel längere geistliche Tradition, sind viel weiser als wir Jesuiten“, schmeichelte Zimmermann eingangs. Später analysierte Salmann dann launisch das Charisma der Jesuiten, die eine „ganz eigene Formation“ seien, zwar „ohne die Stütze von Chorgebet und Klausur, dafür aber „mit einer starken Innenausstattung von Exerzitien“,  „sozusagen ein Partisanenverband“.

Waren die Besucher über das Geplänkel der Ordensmänner erheitert, wurde der Ton bei der anschließenden Gesprächsrunde bald nachdenklicher. Ein Zuhörer fand es gar nicht „so schlimm, wenn wir eine Zeit lang ein paar weniger sind. Weil die wenigen, die übrig bleiben, müssen sich dann mehr bekennen. Und das ist für mich eine Chance.“ Ein anderer wollte diese positive Haltung nicht teilen. Er fürchte einen „Traditionsabbruch“, den es in diesem Ausmaß noch nie gegeben habe. „Wir tun manchmal so als wären wir die Fleischerinnung. Und alle rennen uns davon und werden Vegetarier“, gab ein Zuhörer zu bedenken. Die Menschen seien nicht alle Atheisten, sondern durchaus spirituell, mieden aber die Kirche. Das sei das eigentliche Problem. Ein Besucher entgegnete darauf: „Da ist Gott am Werk und reinigt den Weinstock. Er schneidet ab. Aber es wird neue Frucht wachsen.“

Der Abend mit Pater Elmar Salmann war das letzte Nikodemus-Gespräch vor der Sommerpause. Die Veranstaltungsreihe, die einen Beitrag zum Pastoralen Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ leisten soll, hatte im April mit einem Impuls von Erzbischof Heiner Koch begonnen. Christopher Maaß, der für das Erzbistum Gemeinden beim Prozess geistlich begleitet und die Gesprächsreihe mit initiiert hat, zeigte sich am Ende des Abends „sehr zufrieden“: „Die erhofften Impulse haben wir bekommen und die Teilnehmerzahlen zeigen das Interesse an den Gesprächen.“ Im Sommer wolle man dem Erzbischof einen Brief schreiben, um ihn darüber zu informieren, was seit seinem ersten Impuls passiert sei. Schon jetzt ist klar, dass das Format im September fortgeführt wird. Impulsgeber stünden noch nicht fest, aber man habe bereits „ein paar gute Ideen“, verriet Pater Tobias Zimmermann SJ.