„Warum bist du Christ?“Nikodemus-Gespräche beginnen in Plötzenseer Gedenkkirche

Foto: Walter Wetzler

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Wie sieht die Zukunft der Kirche im Erzbistum Berlin aus? Und wie muss sie sich verän-dern, um in einer immer säkulareren Umgebung zu bestehen? Antworten darauf sucht eine neue Gesprächsreihe, die der Diözesanrat der Katholiken, die Katholische Akademie und das Canisius-Kolleg im Rahmen des Pastoralen Prozesses „Wo Glauben Raum gewinnt“ veranstaltet. Unter dem Namen „Nikodemus-Gespräche“ sollen einmal im Monat Personen aus Kirche und Gesellschaft in der Gedenkkirche Maria Regina Martyrum in Berlin-Plötzensee Impulse geben. Den Auftakt machten Erzbischof Heiner Koch und der Diözesanratsvorsitzende Wolfgang Klose zur Frage: „Wie Anfangen?“

Über seinen nun auch amtlich beurkundeten Anfang in Berlin redete Erzbischof Heiner Koch und erntete damit gleich Lacher: Das sei ein „festlicher, besonderer Tag. Denn seit heute Morgen um 8.22 Uhr bin ich Berliner“, verkündete er und erzählte davon, wie er seinen Wohnsitz umgemeldet habe. In seinem Impuls widmete er sich dann dem Namensgeber der Veranstaltungsreihe. Die Bibel erzählt von Nikodemus, einem jüdischen Ratsherrn, der sich eines Nachts auf den Weg zu Jesus macht, um ihn zu existenziellen Dingen zu interviewen. Nach sechs Monaten in Berlin wünsche er sich mehr „Nikodemusse“, sagte Koch. „So fragend, so suchend, so zuhörend, so offen.“ Solche Menschen gebe es hier zwar, aber eben auch solche, die dem Glauben und Gott „völlig gleichgültig“ gegenüber stünden. Wie könne man diese Menschen wieder für Gott interessieren, wie „ein Zeichen sein und Zeichen setzen, die diese Menschen sehen können?“ Für ihn stelle gerade das den pastoralen Raum dar, erklärte der Erzbischof. Die „vielen, bunten Zeichen“ von Katholiken, die Nichtgläubigen auffallen.

Über 200 Gäste wollten den Bischof an diesem Abend in der Gedenkkirche hören. Ihr Rektor, Pater Tobias Zimmermann SJ, begrüßte als Gastgeber und Rektor des Canisius-Kollegs das Publikum, das zuvor hatte umziehen müssen. Zu viele waren gekommen, um die Veranstaltung wie geplant in der kleineren Unterkirche beginnen zu lassen. Darüber freute sich der Jesuit, der die Gesprächsreihe mit initiierte. Die Idee dazu entstand bereits vor über einem Jahr in einer Arbeitsgruppe zum Pastoralen Prozess. Ihre Aufgabe: Herausfinden, ab wann ein Prozess eine geistliche Note bekommt. Schwierig diese Frage in einer Arbeitsgruppe zu beantworten, fanden die Mitglieder, Pater Zimmermann und Christopher Maaß, der für das Erzbistum Gemeinden beim Pastoralen Prozess geistlich begleitet. Man bräuchte dafür ein anderes Format, waren sich beide einig. Sie trafen sich mit dem Diözesanratsvorsitzenden Wolfgang Klose und dem Direktor der Katholischen Akademie, Joachim Hake, beim Italiener und beratschlagten. Heraus kam eine Art „geistliche Ideenwerkstatt“, in der man offen sein wolle für neue Anregungen von außen. Kein Podium, keine Debatte, sondern ein gemeinsames Nachdenken und Hinhören auf das, was Gott mit der Kirche vorhabe.

Dass es eine Zukunft gebe, davon war Wolfgang Klose überzeugt: „Wir denken über die Zukunft nach, also haben wir auch eine“, sagte er zu Beginn seines Impulses und ging dann darauf ein, was es bedeute, heute als Christ gesendet zu sein. Als Antwort zitierte er Papst Franziskus, der im Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium dazu auffordert, eine Kirche im Aufbruch mit offenen Türen zu sein. „Machen wir unsere Türen auf?“, fragte Klose. Oder halte man „am Bequemen, am Wohlfühlen“ fest, um dann in zehn Jahren zu merken, dass die Kirchen leer seien? Bei allen strukturellen Überlegungen stelle der Pastorale Prozess für ihn vor allem ein geistliches Geschehen dar. Christen seien aufgerufen danach zu fragen, was Gott mit ihnen vorhabe. Er wünsche sich, dass „wir Nikodemus-Gespräche auch in unseren Pfarrgemeinden und in unseren Familien führen“.

Joachim Hake, der als Moderator durch den Abend führte, fragte bei den Impulsgebern nach: Wie könne man mit Müdigkeit und Trägheit im Pastoralen Prozess umgehen? Sich mit den Veränderungen auseinanderzusetzen, koste Kraft, räumte Klose ein. „Ich merke das jeden Abend. Der Tag ist angefüllt mit Familie und Beruf, und dann kommt noch die Gemeinde und sagt: Wir haben einen Pastoralen Prozess.“ Der Erzbischof bezog sich in seiner Antwort generell auf das Christsein in der Diaspora: „Christ werden ist kein leichter Weg, und es zu bleiben, ist auch anstrengend.“ Ob wir als Christen verlernt hätten, unsere Freude nach außen zu tragen? „Wir zeigen zu selten unsere Freude, dass es Spaß macht, sich auch hier bei uns als Christ in der Gesellschaft zu bewegen“, erklärte Klose. Erzbischof Heiner Koch erzählte daraufhin das Beispiel von einem Dorf in Brandenburg, in dem von 2000 Einwohnern nur zehn katholisch seien. Aber die engagierten sich dafür sehr in der Dorfgemeinschaft, worauf es ankomme: „Ich lerne nur, wenn der andere mir viel bedeutet. Wir müssen als Christen sehen, dass wir bedeutsam werden.“

Im Anschluss hatten die Gäste Gelegenheit, auf das Gehörte zu reagieren. Wie sie der Pastorale Prozess fordere, schilderte eine Ordensfrau: „In 23 Jahren in Berlin habe ich mich noch nie so hinterfragt gefühlt wie jetzt. Warum glaubst du? Warum bist du Christ?“ Eine andere Teilnehmerin erzählte aus ihrem Alltag als Christin. Wenn sie mittags in einer großen Kantine esse, bete sie öffentlich am Tisch – nicht ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Kollegen kämen und fragten nach, wo sie den Mut dazu hernehme. „Ich habe einen Raum geöffnet – ohne Absicht“, sagte sie und fügte hinzu: „Wir sind für’s Säen zuständig – für das Aufgehen der Saat aber Gott.“ Auch kritische und nachdenkliche Stimmen wurden laut, die durch die Veränderungen vor allem Anonymität, Unübersichtlichkeit und Fremdheit fürchten. Ein Zuhörer äußerte seine Angst, das „Heimatgefühl in der Gemeinde zu verlieren“, wenn er sonntags nicht mehr den vertrauten Priester antreffe, sondern den „Geistlichen XY“. „Heimat ist nicht mit dem Bild des Priesters verbunden. Wir alle sind Gemeinde“, erwiderte Wolfgang Klose. Erzbischof Heiner Koch ergänzte: „Dass wir Heimat finden, halte ich für wesentlich, sonst können wir unsere Sendung nicht erfüllen.“ Er wolle „die halten, die da sind“ und signalisierte Gesprächsbereitschaft auch denjenigen gegenüber, die „schimpfen“.

Die Veranstaltung endete, wie sie begonnen hatte: mit einem Gebet. Im Anschluss gab es bei Brot und Wein die Gelegenheit, sich über den Abend austauschen. Winfried Flemming aus Berlin-Französisch Buchholz zeigte sich über den Verlauf überrascht: „Ich fand es gut zu hören, wie der Erzbischof denkt.“ „Konkrete Aussagen zum Pastoralen Prozess“ vermisste hingegen Walter Plümpe aus Berlin-Prenzlauer Berg. Diesen Eindruck teilte auch eine andere Besucherin, die ihren Namen nicht veröffentlicht wissen wollte: „Ich nehme viele Fragen mit. Für die Menschen, die Angst vor dem Prozess haben, sind diese Impulse nicht genug.“ Für Ruth Anders aus Berlin-Charlottenburg stand dagegen weniger der Pastorale Prozess im Vordergrund, sondern „wie wir als Christen überhaupt in der Gesellschaft wirken können“. Wie die Veranstaltungsreihe ankommt, wird sich weiter zeigen. Am 9. Mai 2016 um 19.30 Uhr folgt das nächste „Nikodemus-Gespräch“. Dann redet der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse über „Christen in Berlin – als Minderheit leben und glauben“.