„370 Kinder besuchen die St. Paulus-Grundschule in Moabit.“ Schulleiter Christian Sprenger empfängt Berlins Erzbischof Heiner Koch mit den ersten Informationen zur Schule in der Eingangshalle. Im Zimmer des Direktors warten Schulrat, Konrektor und Schulseelsorger. „Was macht ihnen am meisten Sorgen?“ fragt Erzbischof Koch. „Wir platzen aus allen Nähten. Zwei Drittel unserer Schulkinder besuchen mittlerweile den Hort. Tendenz steigend. Uns fehlt es an Platz“, antwortet Sprenger. Es entspinnt sich ein Gespräch über die Einbindung der Schule in das Leben der Pfarrei, über die Willkommensklasse für Flüchtlingskinder, über das Engagement von Ehrenamtlichen.
Die Paulusschule bildet die erste Station an diesem Tag. Erzbischof Koch besucht den Pastoralen Raum Tiergarten-Moabit-Wedding. Begleitet wird er dabei von Markus Weber, Leiter der Stabsstelle „Wo Glauben Raum gewinnt“, und Pater Michael Dillmann, Leiter des Prozesses im Pastoralen Raum. Er wirft einen Blick in die Caritasberatungsstelle, in den IN VIA-Jugendmigrationsdienst, in die Kita St. Sebastian. Er trifft sich mit Vertretern der vietnamesischen und der kroatischen muttersprachlichen Gemeinden, besucht mit den Fokolaren und den Afrikamissionaren zwei geistliche Gemeinschaften, erkundigt sich in den fünf Pfarreien. Zum Schluss führt er Einzelgespräche mit sämtlichen pastoralen Mitarbeitern und diskutiert mit Vertretern der Pfarrgremien.
„All die Informationen zu den Pfarreien sehe ich bislang nur auf dem Papier. Jetzt möchte ich in die Gemeinden, um die Menschen persönlich kennenzulernen und zwischen den Zeilen lesen zu können.“ Der Besuch im Pastoralen Raum Tiergarten-Moabit-Wedding gilt für Erzbischof Koch als Auftakt. In den kommenden Monaten nimmt er sich viel Zeit, um alle Pastoralen Räume in Augenschein zu nehmen, die im Jahr 2016 entstehen. Der Pastorale Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ bekommt damit noch einmal eine ganz eigene Dynamik.
Die Menschen kennenlernen
Bereits am 2. Oktober errichtete Erzbischof Koch mit einem feierlichen Pontifikalamt den Pastoralen Raum Tiergarten-Moabit-Wedding. Es ist der Zweite im Erzbistum Berlin, der Erste, der nach einer ausführlichen Findungsphase gebildet wurde. Für die Pfarreien St. Laurentius, St. Paulus, St. Joseph-St. Aloysius, St. Petrus und St. Sebastian mit ihren insgesamt knapp 27.000 Katholiken begann damit die Entwicklungsphase. In den kommenden drei Jahren soll aus ihnen eine Pfarrei neuen Typs im Herzen Berlins erwachsen. Die Eröffnung des Pastoralen Raums bildet eine Zäsur in der Geschichte der Erzdiözese. Ihr Gesicht wird sich in den kommenden Monaten Schritt für Schritt verändern. Die nächsten acht Pastoralen Räume mit insgesamt 27 Pfarreien sollen schon in diesem Frühjahr gegründet werden. Zwölf Pfarreien haben bereits ihr Votum für vier weitere Pastorale Räume abgegeben.
Im Eröffnungsgottesdienst im Oktober sprach Erzbischof Koch vom Sendungsauftrag der Kirche. „Wozu sind wir Kirche?“ fragte er provozierend. „Doch nicht, dass es schöne Schrebergärten gibt, dass es uns gut geht. Wir sind gesandt! Wir sind dafür da, dass das Wort Gottes in dieser Stadt nicht verstummt!“ Erzbischof Koch machte deutlich, dass es ihm mit dem Pastoralen Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ nicht in erster Linie um „Strukturen, Personal- und Finanzpläne“ geht, sondern um die Erfüllung der Sendungsaufgabe, „Christus in dieser Welt spürbar, hörbar und erlebbar zu machen“.
„Was fällt ihnen ein, wenn Sie spontan an ihre Pfarrei denken?“ Direkt und ohne Umschweife stellt Erzbischof Koch seine Fragen an diesem Morgen im Sprechzimmer des Dominikanerklosters in Moabit. „Bunt, frisch, im Umbruch“, antwortet Pater Dillmann. „Was macht ihnen am meisten Sorgen?“ „Die große Fluktuation, die ständig hohe Zahl an Zu- und Wegzügen.“ Es werden den Tag über immer ähnliche Fragen sein, die Erzbischof Koch den Menschen stellt, denen er begegnet. „Welche Menschen leben hier?“ „Nimmt die Gesellschaft die Kirche wahr?“ „Worin sind sie als Kirche stark?“ „Was bereitet ihnen am meisten Sorgen? Wo würden sie sagen, darin sind wir schwach?“ „Wo haben sie Hoffnung, wo sehen sie Perspektiven?“ „Wie beurteilen sie das Miteinander mit anderen Pfarreien, mit Orten kirchlichen Lebens in diesem Pastoralen Raum?“ Sehr bewusst fragt Erzbischof Koch nach der Außenwirkung der katholischen Kirche, wie sie eingebunden ist ins öffentliche und gesellschaftliche Leben. Er fragt nach den Stärken und Schwächen, nach den Sorgen und Hoffnungen. Er erkundigt sich, wie gut sich Kirche untereinander kennt.
Gelebte Vielfalt
Von den Mitarbeitern der Caritas-Beratungsstelle in Moabit erfährt Erzbischof Koch von den sozialen Problemen, die im neuen Pastoralen Raum die Menschen belasten. Im Pfarrsaal der Gemeinde St. Aloysius hört er von der Freude der vietnamesischen Muttersprachlichen Gemeinde über einen eigenen kirchlichen Ort, an dem die Familien aus dem fernöstlichen Land ihre Glaubenstradition und Glaubenskultur leben können. Im Pfarrhaus von St. Sebastian spricht Franziskanerpater Frano Čugura über die Glaubenstreue der kroatischen Gemeinde, die Sonntag für Sonntag seine Kirche füllt. Im offenen Treff des IN VIA-Jugendmigrationsdienstes in den Räumen der St.-Petrus-Gemeinde geht es um die Bevölkerungsstruktur des Pastoralen Raums, die zum großen Teil von Migranten geprägt ist. In St. Laurentius in Tiergarten vor. Pfarrer Ernst Pulsfort berichtet von seiner lebendigen, wachsenden, gut bürgerlich strukturierten Gemeinde.
Am Ende des Besuchs zeigt sich Erzbischof Koch beindruckt von der Vielfalt des kirchlichen Lebens im Pastoralen Raum Tiergarten-Moabit-Wedding. „Ich bin sehr dankbar für all das, was hier gemacht wird“, bekräftigt er im Pfarrsaal von St. Paulus in Moabit. Dort haben sich Gremienvertreter der Pfarreien sowie Vertreter des Ordinariats versammelt. Der Generalvikar, die Caritasdirektorin, die Seelsorgedezernentin sowie der Finanz- und der Personaldezernent des Erzbistums sind gekommen. Erneut stellt Erzbischof Koch seine Fragen. Die lebhafte Diskussion macht deutlich, wie groß der Gesprächsbedarf zu den pastoralen Problemen in den Gemeinden ist und welche Chancen der Pastorale Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ dafür bietet. Zum Abschluss unterstreicht Erzbischof Koch, dass ein intensiveres, kirchliches Leben vor Ort vom Engagement der Pfarreien und Orte kirchlichen Lebens abhängt. „Einen Weg in ihrem Pastoralen Raum zu finden, diese Verantwortung kann ihnen keiner abnehmen.“