„Begleiter für das Leben älterer Menschen sein“

Interview mit der Geschäftsführerin der Caritas-Altenhilfe, Bärbel Arwe in Corona-Zeiten

INFO:

Sehr geehrte Frau Arwe, Sie sind Geschäftsführerin der Caritas-Altenhilfe (CAH) im Erzbistum Berlin, einer Organisation mit über 2000 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bitte erzählen Sie uns etwas über das Leistungsportfolio der CAH.

Arwe:

Die Caritas Altenhilfe gGmbH hatte 2020 ihr 50. Jubiläum und ist Trägerin von 71 Senioreneinrichtungen an 39 Standorten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Das Leistungsspektrum umfasst Pflege zu Hause, Fahrbarer Mittagstisch, ambulant betreute Wohngemeinschaften, Servicewohnen, Tagespflege, Verhinderungspflege und vollstationäre Pflege. Wir unterstützen die Menschen in ihrem Zuhause durch ein Netzwerk professioneller Hilfeangebote auch in der Langzeitpflege. Unsere Einrichtungen sind wichtige Anker im Quartier und bilden oft Seniorenzentren mit unterschiedlichen Angeboten unter einem Dach, um eine bedarfsgerechte Unterstützung und Versorgung für die uns anvertrauten Menschen anzubieten. 

INFO:

In Ihren Einrichtungen ist die Corona-Pandemie das überragende Thema seit einem Jahr. Wie ist die Situation und welche Maßnahmen haben Sie zum Schutz der Bewohner/innen und Kunden sowie der Mitarbeitenden unternommen?

Arwe:
Das Pandemiejahr hat die Caritas Altenhilfe sehr geprägt und sowohl von den Fachbereichen als von den Einrichtungen viel verlangt und die Mitarbeitenden auch durch die Umsetzung der Maßnahmen zum Infektionsschutz oft an Belastungsgrenzen geführt. 

Schon ganz zu Beginn der Pandemie hat der Berliner Caritasverband mit seinen Fachverbänden und Trägergesellschaften einen Corona-Krisenstab gebildet.

Besondere Herausforderungen in einzelnen Diensten der Caritas oder auch Beschaffungsnöte bei Schutzkleidung wurden thematisiert und gemeinsam nach Lösungen gesucht. Auch die Amtshilfe durch die Bundeswehr, die seit Weihnachten verschiedene Dienste und Einrichtungen der Caritas insbesondere bei der Umsetzung der Teststrategie Unterstützung bietet, ist in diesem Rahmen initiiert worden. Ebenso wurden die Schwierigkeiten und Herausforderungen in der Umsetzung an die politisch Verantwortlichen und die Gesundheitsbehörden übermittelt.

Jede neue Verordnung und die geltenden Eindämmungsmaßnahmen erfordern eine individuelle Interpretation in der Umsetzung vor Ort. Unser Qualitätsmanagement prüft kontinuierlich die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und die staatlichen Vorgaben und Handlungsempfehlungen der Bundesländer Berlin, Brandenburg

und Mecklenburg-Vorpommern. Um die Einrichtungen in ihren Schutzmaßnahmen zu unterstützen und den Infektionsschutz auch sicherzustellen, werden die Vorgaben regelmäßig in einem Leitfaden zum Infektionsschutz eingearbeitet und vor Ort umgesetzt. 

Für den Ernstfall haben wir in unseren Seniorenheimen Isolations- und Separationsmöglichkeiten geschaffen. Mitte Oktober trat die bundesweite Teststrategie in Kraft, die wir in unseren Einrichtungen mit Lieferung der Testkontingente umgehend unterstützt haben. Durch die Antigen-Schnelltests konnten schon so einige Infektionsfälle bei Bewohner/-innen und Mitarbeiter/-innen aufgedeckt werden, die ohne Tests nicht aufgefallen wären, weil die Infektion symptomlos verlief oder ganz am Anfang stand. So konnten dann umgehend Eindämmungs- und Quarantänemaßnahmen eingeleitet werden. 

Auch das Angebot der Corona-Schutzimpfung seit Ende 2020 bietet einen Lebensschutz für die Menschen in unseren stationären Einrichtungen. Erfreulicherweise liegt die Impfquote in unseren stationären Einrichtungen in Berlin bei 80-95%. Anfang Januar haben wir nochmals eine Aufklärungs- und Informationsaktion für Angehörige und Mitarbeiter/-innen zur Corona-Schutzimpfung gestartet. 

INFO:

Was bedeutet es für die Menschen in einer Einrichtung, wenn sich nach einem Corona-Ausbruch die Todesfälle häufen? Wie verkraften die Pflegekräfte und alle weiteren Mitarbeitenden diese langanhaltende Situation?

Arwe:

In den letzten Wochen hatten wir in acht unserer 14 stationären Pflegeeinrichtungen mit größeren Infektionsgeschehen zu tun. Trotz aller mit den Gesundheitsämtern und den Amtsärzten festgelegten Maßnahmen zur Eindämmung des jeweiligen Ausbruchsgeschehens sowie der verantwortlichen Umsetzung und der Fürsorge für die Bewohner/-innen vor Ort kam es auch zu Sterbefällen bei den Bewohner/-innen. Gerade bei Bewohner/-innen, die sich in der Sterbephase befanden, war für unsere Mitarbeiter/-innen der Austausch mit unseren Hausärzten in den Einrichtungen sehr wichtig. Die Angehörigen wurden umgehend über die Infektionsgeschehen informiert. Bei verhängter Quarantäne wurde eine Sterbebegleitung und ein Abschiednehmen durch die Angehörigen ermöglicht. In der Caritas Altenhilfe leben wir eine Kultur bei der Verabschiedung verstorbener Bewohner/-innen, die wir auch in der Zeit der Pandemie berücksichtigt haben. Für unsere Mitarbeiter/-innen sind dies wichtige Rituale. Sobald dies aufgrund der landesrechtlichen Verordnungen möglich ist werden wir für unsere Mitarbeiter/-innen und die Angehörigen mit dem Gemeindepfarrer einen Gedenkgottesdienst für unsere verstorbenen Bewohner/-innen veranstalten.

INFO:

Wie können Sie in dieser Situation Ihre Mitarbeitenden unterstützen?

Arwe:

Während eines Ausbruchsgeschehens waren uns die Transparenz und die direkte Information der Mitarbeiter/-innen sehr wichtig. Wir haben durch Aushänge und Care-Pakete übermittelt, dass wir hinter den Mitarbeiter/-innen und ihrer wichtigen Arbeit stehen. Für Unsicherheiten und Fragen haben wir Angebote durch Begehungen vor Ort – auch mit unserer Betriebsärztin – gemacht und Telefonsprechstunden angeboten. Die Heim- und Zentrumsleitungen haben einen sehr engen Austausch mit den Mitarbeitenden gesucht, um Sorgen und Nöte aufzufangen. Die Mitarbeitenden hatten und haben jederzeit die Möglichkeit, verschiedene seelsorgerische Angebote aufzusuchen. Die Versorgung mit Schutzkleidung war jederzeit gewährleistet und wir haben durch engmaschige Testungen der Mitarbeitenden und der Bewohner/-innen die Infektionsherde schnell abgrenzen können. In der Geschäftsstelle waren wir mehrmals wöchentlich mit den Einrichtungsleitungen in telefonischen Updates und haben fachlich und auch kommunikativ die Situation unterstützt. 

INFO:

Nicht zuletzt müssen auch die Menschen, die in Ihren Häusern wohnen und ein und ausgehen begleitet werden. Gibt es Seelsorge und psycho-soziale Betreuung, sind die Pfarrgemeinden präsent?

Arwe:

Wir haben in unseren stationären Einrichtungen schon seit Jahren Mitarbeiter/innen, die in der Seelsorge tätig sind. Sie sind eine feste Größe in den Einrichtungen und versuchen unter den jetzigen Bedingungen seelsorgliche Begleitung unserer Bewohner/-innen anzubieten, insbesondere bei bettlägerigen und sterbenden Menschen, und organisieren auf Wunsch auch den Besuch des Priesters oder die Möglichkeit der Krankenkommunion und –salbung. Ebenso begleiten sie auf Wunsch Angehörige und Mitarbeiter/-innen durch Gespräche und Begleitung. Dabei wirken sie sehr kreativ in unseren Einrichtungen. Zudem unterstützen sie bei ethischen Fragestellungen oder schweren Erlebnissen und Krisen.

Seelsorge ist ein Bereich, der auch in der Pandemiezeit unter Einhaltung von Hygieneregeln uneingeschränkt erfolgen kann. Seelsorger/-innen haben jederzeit Zugang in unsere Einrichtungen.

In den jetzigen Zeiten der Pandemie ist aufgrund behördlicher Vorgaben der Kontakt zwischen den Gemeindemitgliedern und den Bewohner/-innen nur eingeschränkt möglich. Zu Beginn der Pandemie war der direkte persönliche Kontakt vollkommen eingestellt. Ab Mai konnten auch Ehrenamtliche aus den Pfarrgemeinden wieder unterstützen. In einzelnen Einrichtungen waren Ehrenamtliche sogar während eines Corona-Ausbruchs eine große Unterstützung bei Betreuungsangeboten. Wir sind dankbar über die gute Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen und Pfarrgemeinden.

Zudem arbeiten wir auch eng mit einer Ärztin und Expertin für Geriatrie und Psychologie zusammen, die unsere Leitungskräfte begleitet und aktuelle Fragestellungen bezüglich des Umgangs mit der Pandemie für Bewohner/-innen, Mitarbeiter/-innen und Leitungskräfte aufnimmt und gemeinsam mit Leitungskräften Antworten diskutiert und Lösungsansätze findet.

INFO:

Schauen wir in die Zukunft! Ein Motto von Ihnen lautet: "Bis zum Lebensende gut wohnen können". Wo will die Caritas-Altenhilfe hin?

Arwe:

Für die kommende Dekade will die Caritas Altenhilfe gemeinsam mit den Verantwortlichen und Mitarbeiter/-innen in ihren Einrichtungen Pflege neu denken. 

Bedingt durch den steigenden Bedarf an Versorgungsangeboten für Pflegebedürftige, die rückläufige Unterstützung durch pflegende Angehörige und den sich immer weiter verschärfenden Personalmangel in der Pflege muss es uns gelingen, die Caritas Altenhilfe zukunftsfähig aufzustellen. Unsere künftige Rolle wird es sein, Begleiter für das Leben älterer Menschen zu sein und uns an der Gemeinwohlorientierung auszurichten. Maßgeblich wird es sein, die zu Pflegenden in ihrer Teilhabe und Eigenverantwortung zu stärken und bei Bedarf durch eine professionelle Versorgung zu unterstützen.  


INFO:
Was wünschen Sie sich von den Pfarreien, zu denen die CAH-Einrichtungen als Orte kirchlichen Lebens gehören.

Arwe:

Seit 2014 ist es in unserem strategischen Rahmenwerk die Seelsorge als ein wichtiger Punkt verankert. Unsere Perspektive lautet: „Alle Einrichtungen der CAH sind Orte kirchlichen Lebens. “Wir wollen Nächstenliebe und den christlichen Glauben für rat- und hilfesuchende Menschen und Mitarbeiter/-innen gegenwärtig und lebendig gestalten.“ Wir möchten deutlich den Kontakt zu den Pfarrgemeinden in den pastoralen Räumen suchen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aufgrund der Sozialraumorientierung sind sie wichtige Partner für uns. Die Ordensgemeinschaften, die die Zusammenarbeit mit der Caritas Altenhilfe in den vergangenen Jahren sehr geprägt haben, ziehen sich aufgrund der Altersstruktur nach und nach aus den Häusern zurück. Aus diesem Grunde ist es uns ein großes Bedürfnis, die Zusammenarbeit mit den Kirchengemeinden zu vertiefen, um unsere Einrichtungen weiterhin zu Orten der Begegnung zu machen und Bedürfnissen nach Spiritualität zu begegnen. Dazu versuchen wir gemeinsame Aktivitäten mit den Kirchengemeinden zu gestalten z.B. Vorstellung der Einrichtung in den Gemeinden, Mitarbeit im Gremium des pastoralen Raumes, Besuchsdienste von Gemeindemitgliedern in der Einrichtung, spirituelle Begleitung und Gespräche durch ehrenamtliche Besuchsdienste der Gemeinden.

Wir wünschen uns, dass die Zusammenarbeit weiter wächst und auch unter den erschwerten Bedingungen, die auch die Pfarrgemeinden spüren und durchstehen müssen, weiter gelebt und gefestigt wird. 

INFO:

Fachkräftemangel ist auch ein Thema der CAH. Was spricht für eine Tätigkeit in der Altenpflege und welche Ausbildungsmöglichkeiten gibt es?

Arwe:

Für die künftige Ausrichtung der Caritas Altenhilfe in der Begleitung des Lebens älterer Menschen brauchen wir Lebensbegleiter/-innen, welche die Möglichkeiten und Bedarfe zur Versorgung von älteren Menschen mit Unterstützungs- und Pflegebedarf mitgestalten wollen. Unsere künftigen Versorgungskonzepte werden zeitgemäß, bedarfsgerecht und damit attraktiv für unsere Mitarbeitenden sein. Die Caritas Altenhilfe bietet darüber hinaus sehr gute tarifvertragliche Arbeitsbedingungen, Sicherheit, die Möglichkeit der Selbstverwirklichung und eine Zukunftsperspektive. 

Aktuell bildet die Caritas Altenhilfe aus zur Pflegefachfrau bzw. zum Pflegefachmann in unserer neuen Pflegeschule St. Hildegard Akademie aus, an dem das Erzbistum Berlin, das Sankt Gertrauden-Krankenhaus, die Caritas Altenhilfe, die Caritas Krankenhilfe, das Malteser Werk Berlin, das Dominikus Krankenhaus und der Caritasverband für das Erzbistum Berlin beteiligt sind. 

INFO:

Vielen Dank!

Das Interview führte Hermann Fränkert-Fechter.