Interview zum goldenen Priesterjubiläum

„Dass Christus selbst uns um den Tisch des Herrn versammelt“

Frage: Herr Kardinal, vor 50 Jahren sind Sie zum Priester geweiht worden. War es damals leichter als heute, „Ich bin bereit“ zur Berufung zu sagen?
Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky: Ich mache die Beobachtung, dass es heute schwerer ist, „Ja“ zur priesterlichen Berufung zu sagen. Vor 50 Jahren war vor allem innerkirchlich die Anerkennung größer, der Zuspruch, auch wenn von außen die Anfeindung in einem kirchenfeindlichen Umfeld vielleicht damals sogar noch größer war. Das SED-Regime war ja angetreten mit der erklärten Absicht, die Kirche – zumindest in der DDR – zu zerstören und abzulösen. Das bedeutete für manche sehr konkrete Ängste. Aber der Rückhalt unter denen, die zur Kirche gingen, und das waren ja damals viel mehr als heutzutage, war sehr viel stärker, so dass ich mich getragen fühlte auf meinem Weg.

Frage: Haben Sie Ihre Zusage auch manchmal bezweifelt oder in Frage gestellt?
Sterzinsky: Bedacht ja, bezweifelt nein! Wir haben uns zum 50-jährigen Weihejubiläum getroffen zu einem Einkehrtag und manche haben eingestanden: „Wenn wir damals schon gewusst hätten, was alles auf uns zu kommt ... “. Die Situation hat sich oft verändert, Als wir mit dem Studium begannen, hat keiner an ein Konzil gedacht. Vor der Weihe wussten wir: Ein Konzil kommt, aber keiner ahnte, was es in Bewegung setzen würde. Die Aufgaben und Herausforderungen waren immer wieder andere, auf die wir nicht wirklich vorbereitet waren, nicht vorbereitet sein konnten, bis hin zur Wiedergewinnung der Einheit Deutschlands. In jeder Situation habe ich mich immer wieder gefragt: Ist es das, wofür ich mich habe weihen lassen? Und jede dieser Situationen hat erneut ein bewusstes „Ich bin bereit!“ erfordert! Aber immer neu habe ich die Erfahrung gemacht: Wenn ich mich auf die Anforderungen eingelassen habe, wenn ich mich in den Dienst nehmen ließ, wurde mir auch die Kraft gegeben, ihn auch recht und schlecht zu erfüllen. Es war immer schwerer als ich erwartete, aber die Gnade war auch immer größer. Wie es mein Wahlspruch als Bischof sagt: Deus semper maior.

Frage: 50 Jahre Priester sein, das heißt auch 50 Mal Weihnachten feiern, 50 Mal zu Ostern predigen, immer wiederkehrende Situationen und mindestens Sonntag für Sonntag die Gemeinde zum Gottesdienst zu versammeln. Wie verhindert man eine Routine, die lähmt?
Sterzinsky: Manchmal denke ich mir schon: „Das hab ich doch schon so oft gesagt, das müssten doch alle längst wissen, warum muss ich darüber jetzt schon wieder predigen?“ Ich erlebe aber auch, dass durch die bewusste und gut bedachte „Wiederholung“ der Feier des Kirchenjahres, aber auch der täglichen Eucharistiefeier eine Vertiefung eintritt und keine Verflachung. Treue lässt nicht Neuheit erleben, aber Befestigung, Vergewisserung, Glück und Anhänglichkeit.

Frage: Man sagt oft formelhaft „Priesterleben – Opferleben“. Darf ein Priester überhaupt glücklich sein?
Sterzinsky: Das schließt sich nicht aus. Im Gegenteil: Glücklichsein ist die Probe aufs Exempel, ob er auf dem rechten Weg ist. Wer Opfer nicht als ein selbstauferlegtes Opfer begreift, sondern als die Annahme des Dienstes, zu dem er gerufen ist, der wird darin sein Glück finden. Und umgekehrt: wer meint, dass er glücklich wird, wenn er seinen Lebensplan durchsetzt, wird unglücklich. Selbstverwirklichung im Sinne Jesu besteht darin, das zu tun, wozu man berufen und gesandt ist. Je älter ich werde, umso klarer finde ich bestätigt, was Jesus sagt: „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren. Wer es aber um meinetwillen verliert, wird es retten“. Wer sich hingibt, wird glücklich.

Frage: Seit zwanzig Jahren sind Sie nun nicht nur Priester, sondern auch Bischof. Damit müssen Sie letztlich über die Berufung entscheiden. Wie geht das?
Sterzinsky: Zum Glück muss ich das nicht alleine tun. Bevor ein Kandidat geweiht wird, beurteilen verschiedene Personen, ob er geeignet ist: die Professoren im Theologie-Studium, der Theologen-Referent, die Regenten der jeweiligen Priesterseminare, die Mentoren und Praktikums-Pfarrer. Sie alle wirken an dieser Entscheidung mit. Und auch der Kandidat ist gehalten, seine Neigung und Eignung immer neu zu überprüfen. Dabei ist immer wichtig, ob er innere Ruhe und Freude gewonnen hat, die ich für seinen Dienst unabdingbar halte, nicht Selbstsicherheit.

Frage: Sie haben in dieser Zeit auch erfahren müssen, dass die Zahl der Priesteramtskandidaten zurückgeht. Welche Gründe machen Sie dafür geltend?
Sterzinsky: Es sind viele Gründe. Einer ist sicher, dass Kinder und Jugendliche mit der Möglichkeit Priester zu werden, immer später oder gar nicht mehr konfrontiert werden. Priestertum ist kein Thema in der Familie, es wird aber auch in den Gemeinden kaum angesprochen. Sogar in Familien, in denen die Eltern grundsätzlich der Ansicht sind, dass die Kirche mehr Priester braucht, schließen sie das doch für die eigenen Söhne aus. Auch die geringere Kinderzahl macht es schwieriger: Schon allein die Vorstellung, Einer unserer Söhne könnte doch Priester werden, findet man heutzutage immer seltener, erst recht wenn die Eltern nur einen Sohn haben ...
Sicherlich kommt auch hinzu, dass sich das Bild von Kirche allgemein stark verändert hat in unserer Gesellschaft, nicht erst seit der jüngsten Debatte um Missbrauchsfälle.

Frage: Und welche Rolle spielt der Zölibat?
Sterzinsky: Es ist richtig, die Kirche wählt seit ca. 1.000 Jahren ihre Priester nur unter denen aus, die zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches Willen berufen sind. Dass es eine solche Berufung gibt, steht nach dem Evangelium außer Frage: Menschen, die in der Hingabe an Jesus Christus und durch ihre Erwartung des Gottesreiches nicht mehr zur Ehe fähig sind. Die sagen müssten: Ich könnte einer Ehefrau oder einer Familie gar nicht gerecht werden. Dass der Zölibat zum Widerspruch herausfordert, ist vielleicht sogar ein Teil seiner Bedeutung.
Dass die Kirche diese Zulassungsbedingung seit langem praktiziert, heißt nicht, dass sie sie nicht ändern könnte. Ich bin allerdings nicht der Ansicht, dass man solche jahrhundertealten Traditionen mitten in einer schweren Krise ändern soll. „Man deckt das Dach nicht neu im Ungewitter“, sagt ein Sprichwort.

Frage: Das Ende des Priesterjahres fällt zeitlich fast zusammen mit Ihrem goldenen Priesterjubiläum. Wie bilanzieren Sie dieses Jahr?
Sterzinsky: Ich bin dem Papst dankbar für den Impuls zu diesem Jahr. Es hat herausgehoben, dass es eine besondere Berufung zum Priestertum gibt. Das ist keine Abwertung der anderen Berufungen und Berufe in der Kirche. Und es ist kein selbstbezogenes Feiern eines Lebensstands. Vielmehr sah der Papst, dass eine Besinnung auf die priesterliche Lebensweise und ihre Erneuerung dringend nötig war. Darum geht es auch heute, wenn wir vom Priester sprechen und wenn wir den Herrn um Priesterberufungen bitten: Dass Christus selbst uns um den Tisch des Herrn versammelt.