Hilfe für Reisende ohne FahrkarteDie Bahnhofsmission am Ostbahnhof, ein Ort kirchlichen Lebens

Die Bahnhofsmission im Ostbahnhof, ein Ort kirchlichen Lebens. Foto: Herrmann

Axel hilft als Ehrenamtlicher mit. Morgens um acht Uhr schmiert er Brote für die Gäste. Foto: Herrmann

Ab halb neun Uhr kommen die Gäste, Reisende durchs Leben ohne Fahrkarte, ohne Koffer. Foto: Herrmann

Fred beim Frühstück: eine halbe Stunde darf jeder Gast bleiben, bekommt ein Brot und Tee. Foto: Herrmann

Die Mitarbeiterin Christina Thoma auf ihrem Rundgang durch den Bahnhof: sie hilft Reisenden beim Umsteigen. Foto: Herrmann

"3 nach 3": jeden Mittwoch halten Gäste und Mitarbeitende eine kleine Andacht. Foto: Herrmann

Ursula Czaika, Leiterin der Bahnhofsmission, und Uta Bolze vom Fundraisingprojekt. Foto: Herrmann

Unter den S-Bahnbögen am Ostbahnhof: Als Christina Thoma um viertel vor acht an der Bahnhofsmission eintrifft, stehen bereits die ersten Gäste vor der verschlossenen Tür im Regen, vollbepackt und gezeichnet von der Nacht. Bis halb neun müssen die Männer noch warten, erst dann werden die Türen für den Publikumsverkehr geöffnet.

Bis dahin bleibt noch viel zu tun. Thoma streift sich die blaue Weste mit dem Logo der Bahnhofsmission über, schaltet die Kaffeemaschine ein und kocht Tee. Dann beginnt sie gemeinsam mit Axel, einem ehrenamtlichen Helfer, der kurz nach ihr eingetroffen ist, Brote zu schmieren. 80 bis 90 Gäste erwartet die Bahnhofsmission an diesem Morgen. Als ihre Kollegin Ramona Schellong zur Arbeit kommt, geht diese gleich zu BackWerk im Bahnhof. Mit zurück bringt sie einen Wagen voller Brötchen, Croissants, Apfeltaschen und Pfannkuchen vom Vortag, eine tägliche Spende, auf die die Bahnhofsmission angewiesen ist. „Jeder, der die Bahnhofsmission besucht, bekommt eine Stärkung, jeder kann einen Tee trinken und duschen“, erklärt Thoma.

Behände sortieren Schellong und Axel die Backware. Vormittags gibt es für die Gäste etwas Herzhaftes, nachmittags etwas Süßes. Axel aus Lichtenberg engagiert sich seit fast drei Jahren in der Bahnhofsmission. Der 47-Jährige suchte etwas, wo er sich morgens einbringen kann, während seine beiden behinderten Kinder die Schule besuchen. Im Internet stieß er auf die Einrichtung am Ostbahnhof. Nun arbeitet er ein- bis zweimal die Woche einen halben Tag mit. „Unsere Gäste, das sind Menschen, die kein Einkommen haben, keine Wohnung. Für sie möchte ich mich einsetzen.“ Rund 20 Ehrenamtliche unterstützen die fünf hauptamtlichen Kräfte, so dass immer drei Mitarbeitende täglich zwischen acht und 17 Uhr vor Ort sind. Am Nachmittag steht Christiane aus Mitte Thoma und Schellong zur Seite. Die konfessionslose Frau fand über eine Annonce zur Bahnhofsmission. „Ich habe es im Leben nicht immer leicht gehabt. Jetzt geht es mir gut und ich möchte etwas zurückgeben.“

Eine halbe Stunde ausruhen, aufwärmen, stärken

Als Axel die Türen pünktlich um halb neun öffnet, treten die ersten neun Gäste ein. Zwei Tische stehen für je vier Personen bereit. Ein Gast geht gleich zielgerichtet in Richtung Dusche. Schellong reicht derweil Essenspakete an jene vor der Tür, die gleich wieder weiter möchten. Die meisten der neun Männer, die sich für eine halbe Stunde ausruhen, aufwärmen und stärken, sind nicht das erste Mal hier. Auch Fred. Der 65-Jährige schiebt sich beladen mit zwei großen Plastiktaschen in den Gastraum und holt einen der vorbereiteten Essensteller, die auf der kleinen Theke in der Mitte des Raumes stehen. Fred verbrachte die letzte Nacht unter dem Vordach des ehemaligen Kaufhauses direkt gegenüber des Ostbahnhofs. Kurz vor Ostern sei er mal wieder obdachlos geworden, erzählt er frei weg. „Meine Bekannte ist verstorben, da bin ich durchgedreht und aus dem Wohnheim rausgeflogen.“ Nun wünscht er sich eine neue, feste Bleibe. „Ich hoffe, es hat bald ein Ende und ich finde wieder ein Wohnheim, das mich nimmt.“

„Die meisten Menschen, die zu uns kommen, sind ohne Fahrkarte und ohne Koffer unterwegs, sie sind sozusagen Reisende durchs Leben, die in einer Sackgasse beziehungsweise auf dem Abstellgleis gelandet sind“, berichtet Ursula Czaika, die Leiterin der Bahnhofsmission am Ostbahnhof, von ihren über 160 Gästen, die jeden Tag in die Räume unter den S-Bahnbögen kommen. Die Sorge um die Armen und Obdachlosen bilde am Ostbahnhof das Zentrum der Unterstützung, anders wie zum Beispiel am Berliner Hauptbahnhof, wo Umsteigehilfen und die Sorge um die Zugreisenden im Mittelpunkt stehen. Oft hört Czaika ihren Gästen einfach nur zu, schenkt ihnen ihre Zeit und ihr Ohr. Dabei zeigt sich die ganz konkrete Lebensangst der Männer und Frauen, die auf der Straße leben. „Der Verlust des Arbeitsplatzes, der Familie, der Wohnung, das ist meist ein langer Weg, der sich über ein paar Jahre hinzieht und in eine ganz tiefe Hoffnungslosigkeit mündet“, weiß sie um die seelischen Nöte ihrer Gäste. „Wir möchten ihnen helfen, längerfristig aus dieser Sackgasse herauszukommen, sie in das Hilfenetz der Stadt vermitteln. Das braucht viel Geduld, denn Vertrauen wächst nicht von einem Tag auf den anderen.“

Im Glauben verankert

„Manchmal habe ich das Ziel aus den Augen verloren, da brauche ich jemanden, der mich wieder in die richtige Spur bringt“, liest Czaika vor, „manchmal fühle ich mich von Gott und der ganzen Welt verlassen, da brauche ich jemanden, der mich in den Arm nimmt.“ Die Katholikin aus Köpenick sitzt vor der kleinen Theke, auf der nun Blumen und gut sichtbar ein Kreuz stehen. Eine Kerze brennt. Fünf Männer sind zu „3 nach 3“ gekommen, einer kleinen Andacht, zu der die Bahnhofsmission jeden Mittwoch einlädt. Nachdem Czaika das Buch zugeschlagen hat, entspinnt sich ein Gespräch unter den Anwesenden. „Manchmal muss man erst richtig am Boden sein“, meint einer der Gäste, „um zu verstehen und um aus eigener Kraft wieder da raus zu kommen.“ Czaika antwortet mit der Geschichte vom schlafenden Jesus im Sturm auf dem See Genezareth (Mt 8,23-27). „Als die Jünger nicht mehr wissen, wie sie ihr Leben retten können, wenden sie sich an Jesus, der ihnen hilft. Jesus sagt uns damit: ,Wenn es euch so richtig dreckig geht, wendet euch an mich und ihr werdet nicht untergehen'.“ Zum Schluss betet die kleine Gottesdienstgemeinde das Vaterunser.

Die Bahnhofsmission im Ostbahnhof wurde 1894 gegründet und ist damit die älteste in Deutschland. Vom katholischen Verband IN VIA getragen, bildet sie einen Ort kirchlichen Lebens im Pastoralen Raum Friedrichshain-Lichtenberg. Czaika vertritt die Einrichtung im Pastoralausschuss. „Seit der Gründung des Pastoralen Raums werden wir von den Pfarreien intensiver wahrgenommen.“ So konnte Czaika die Arbeit der Bahnhofsmission in einem Sonntagsgottesdienst in St. Mauritius vorstellen. „Die Gemeinde wusste zwar von uns, hatte aber bis dahin noch keinen von uns persönlich kennengelernt.“ Ihr Besuch trug Früchte. Seitdem spendet die Pfarrei den Erlös ihrer Fastensuppenaktion der Bahnhofsmission. Auch reicht die St. Antonius-Gemeinde ihre Ernte-Dank-Kollekte weiter. Ehrenamtliche haben sich allerdings aus den beiden Pfarreien noch nicht gemeldet. „Pfarrer Onizazuk möchte uns stärker ins Gespräch bringen, als ein Ort, wo man Ehrenamtliche sucht und braucht.“

Auf Ehrenamtliche und Spenden angewiesen

Dass eine Beziehung zwischen einem Ort kirchlichen Lebens und einer Gemeinde wachsen muss, weiß Czaika aus Erfahrung. So entwickelte sich aus einer einfachen Begegnung in den letzten Jahren ein enges Miteinander der katholisch getragenen Einrichtung mit der evangelischen Paulus-Gemeinde Lichterfelde. Zweimal im Jahr berichtet Czaika vor Ort über ihre Arbeit, einmal im Jahr schreibt sie einen Artikel im Gemeindebrief, alle zwei Wochen kommt ein Gemeindemitglied und kauft mit Spendenmitteln aus der Gemeinde für die Bahnhofsmission ein. „Wie aus dem Nichts entstand so etwas regelmäßiges, zuverlässiges und ermutigendes“, ist Czaika froh und hofft, dass auch etwas auf katholischer Seite wachsen kann.

Denn ohne Spenden und ohne ehrenamtliche Unterstützung geht es bei der Bahnhofsmission nicht. Zwar werden die Räumlichkeiten von der Bahn gestellt und die hauptamtlichen Kräfte von der Stadt bezahlt. Aber für den alltäglichen Betrieb sowie bei den benötigten, großen Mengen an Lebensmitteln bleibt die Bahnhofsmission auf Spenden angewiesen. Auch fehlt es immer wieder an ehrenamtlichen Helfern. „Ohne unsere Ehrenamtlichen wäre das alles gar nicht denkbar. Wir sind dringend darauf angewiesen, dass sich freiwillige Helfer bei uns engagieren.“ Daher freut sich Czaika, dass ihre Einrichtung am Modellprojekt „Fundraising-Entwicklung in den Pastoralen Räumen“ der Stabsstelle „Wo Glauben Raum gewinnt“ teilnehmen darf. „Wir brauchen noch mehr Unterstützung und können zu gleich, jedem der hilft, soviel geben.“

<link http: www.erzbistumberlin.de wir-sind wo-glauben-raum-gewinnt zentrale-projekte fundraising-entwicklung-in-den-pastoralen-raeumen _blank>Informationen zum Fundraising-Modellprojekt