Alice Reis

In Zeiten von WhatsApp, Signal, Facebook und Co haben sich die Kommunikationsmöglichkeiten in den letzten Jahren ungeahnt erweitert und verändert. Grenzen von Ländern, ja sogar von Kontinenten, sind mit einem Click überwunden. Die einfache Praktikabilität der Messengerdienste erlaubt den ständigen Nachrichtenaustausch, ein Büro ist nicht erforderlich.

In den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts standen diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung. Wer Kontakt halten wollte, schrieb Briefe. Und so sind erhaltene Briefe aus der Feder der hl. Sr. Teresia Benedicta a Cruce (Dr. Edith Stein) und Briefe von Alice Reis selber noch aus dem Lager Westerbork (Niederlande), kurz vor dem KZ Auschwitz, wertvolle Quellen, die ihr Schicksal lebendig werden lassen.

Als Geburtstag von Alice Reis wird der 17. September 1903 festgehalten. Ihre Eltern waren Juden und lebten in Berlin an der Steglitzer Str. 81. Über Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Seit dem Jahr 1928 arbeitete Alice Reis als Krankenschwester bei der Ortskrankenkasse in Darmstadt. Hier lernte sie den katholischen Glauben kennen, am 27. Dezember 1930 wurde sie in der Klosterkirche von Beuron getauft. Die Verbundenheit mit Beuron erklärt auch ihre Bekanntschaft mit Edith Stein.  Kurz vor der Taufe hielt Edith Stein in einem Brief fest: „Doch, noch ein Gebetsanliegen: für Beuron steht mir als besondere Freude die Taufe einer Jüdin in Aussicht, bei der ich ein klein wenig als causa secunda beteiligt bin.“

Eine mögliche Ehe der jungen Frau mit einem jungen Mannheimer Kaufmann scheiterte am energischen Widerstand ihrer Eltern. Die aufgelöste Verlobung brachte Alice Reis in eine tiefe Krise. Vier Jahre später fand sie Kraft zu einem kompletten Neuanfang. Sie trat der Schwesterngemeinschaft vom Guten Hirten in Leidrop (Niederlande) bei. In Verehrung für ihre Taufpatin Edith Stein wählte sie den Ordensnamen Sr. Maria Benedicta.

Selbst als Ordensschwester in den Niederlanden fand die gebürtige Jüdin keine Ruhe vor dem Zugriff der SS. Nach dem mutigen Hirtenwort der niederländischen Bischöfe vom 26. Juli 1942 traf auch sie die brutale Racheaktion der Gestapo. Am 2. August 1942 wurde sie ohne jede Ankündigung abgeholt und in das Lager Westerbork gebracht. Hier traf sie Edith Stein wieder. Ein von ihr erhaltener Brief zählte auf: „Es sind alle Katholiken hier zusammen und hier im Schlafsaal alle Klosterfrauen (2 Trappistinnen, 1 Dominikanerin; Ruth, Alice, Dr. Meirowsky u.a. Auch die zwei Trappistenpaters sind bei uns).“

Drei Tage später erfolgte der Abtransport in das KZ Auschwitz. Hier verliert sich die Spur von Alice Reis. Wir können davon ausgehen, dass sie am 9. August 1942 gleich nach der Ankunft zusammen mit den übrigen Katholiken jüdischer Herkunft durch Giftgas ermordet worden ist.

Autor:
Prälat Prof. Dr. Helmut Moll
Beauftragter der Dt. Bischofskonferenz für das Martyrologium des 20. Jahrhunderts