Lieselott Neumark
Gemeinden: St. Canisius, Berlin-Charlottenburg (Taufe), St. Adalbert, Berlin-Mitte, und St. Sebastian, Berlin-Wedding
Adressen: Elsässer Str. 66, Brunnenstr. 40
Geboren am 27. September 1910 in Berlin-Charlottenburg. Im KZ Auschwitz ermordet im April 1943
Schon als Jugendliche hatte Lieselott Neumark ihren eigenen Kopf. Während ihrer Schulzeit im Königin-Luise-Lyzeum nahm die jüdische Fabrikantentochter, zunächst wohl nur aus Wissbegier, am katholischen Religionsunterricht teil. Vom Glauben an Jesus Christus überzeugt, lässt sie sich ein Jahr nach dem Abitur, im März 1932, in der Charlottenburger St. Canisius-Kirche taufen.
Als Konsequenz muss sie das Zerwürfnis mit ihrer Familie und den Auszug aus ihrem Elternhaus in Kauf nehmen. Damit ist das gutbürgerliche Leben für sie vorbei. Die begonnene kaufmännische Ausbildung bricht sie ab und hält sich zunächst mit Nachhilfeunterricht über Wasser. Im Herbst 1932 kann sie an der Sozialen Frauenschule des Katholischen Deutschen Frauenbundes die Ausbildung zur Fürsorgerin und Seelsorgehelferin beginnen. Ein halbes Jahr vor ihrem Examen erscheint der Erlass, wonach die staatliche Anerkennung als Wohlfahrtspfleger/in „künftig Personen nichtarischer Abstammung nicht mehr zu erteilen“ sei. Als Fürsorgerin wird sie also nie arbeiten dürfen. Sie beendet noch die Ausbildung zur Seelsorgehelferin und bittet dann um Aufnahme bei den Missionsbenediktinerinnen in Tutzing. Schon vor ihrer Taufe hatte sie daran gedacht, einmal Ordensfrau zu werden. Eineinhalb Jahre nimmt sie als Postulantin am Klosterleben teil, bis die negative Entscheidung des Ordens fällt: sie wird nicht als Ordensfrau aufgenommen.
1937 kehrt sie nach Berlin zurück. Sie sieht für sich kaum noch eine Zukunft, ihre Berufung scheint sich nicht zu erfüllen, der Kontakt zu Berliner Freunden und den inzwischen geschiedenen Eltern ist abgebrochen. Zudem treffen sie die Nürnberger Rassegesetze nun mit voller Wucht. An der ihr ausweglos erscheinenden Situation verzweifelt sie fast. Katholische Freunde helfen ihr schließlich, die Depression zu überwinden, und ermöglichen eine Anstellung im Berliner Caritasverband. Sie arbeitet für den Raphaelsverein, der sich zu dieser Zeit intensiv um die Auswanderung rassisch Verfolgter bemüht. Sie selbst hofft, nach Brasilien auswandern zu können, wo die Missionsbenediktinerinnen sich um ihre Aufnahme in einer ihrer Niederlassungen bemühen. Auch ihre inzwischen in England lebende Mutter versucht zu helfen. Mit dem im Oktober 1941 erlassenen Auswanderungsverbot für „Nichtarier“ muss sie diese Hoffnung begraben.
Seit Mai 1941 ist Lieselott Neumark Mitarbeiterin von Dr. Margarete Sommer im „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“, das auf vielfältige Weise den zunehmend bedrohten „nichtarischen“ Katholiken zu helfen sucht und dazu mit evangelischen, freikirchlichen und jüdischen Initiativen zusammenarbeitet. Schon im November 1941 steht der Name Lieselott Neumarks auf einer Deportationsliste. Die Intervention des Berliner Bischofs Preysing kann nur einen Aufschub erwirken. Ein Jahr später bleibt ein erneutes Ersuchen erfolglos. Lieselott Neumark taucht bei einer befreundeten Familie unter. Doch sie kann den Gedanken nicht ertragen, die Familie zu gefährden. Ende Februar 1943 geht sie freiwillig in das Sammellager in der Großen Hamburger Straße. Im nahe gelegenen St. Hedwig-Krankenhaus kann sie ein letztes Mal die Hl. Messe mitfeiern und die Eucharistie empfangen – Wegzehrung auf ihrem Weg in die Gaskammer von Auschwitz-Birkenau, wo sie vermutlich Anfang April ermordet wird.
Zeitlebens hatte sich die gläubige junge Frau mit der Liebe zum Psalmgebet auch ihr jüdisches Erbe bewahrt. Einem zwölfjährigen Mädchen, das ebenfalls schon auf einer Deportationsliste stand, aber durch das Hilfswerk gerettet werden konnte, schrieb sie 1942 ins Poesiealbum: „Er entbietet für dich Seine Engel, dass sie dich schützen auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf ihren Händen, damit sich dein Fuß an keinem Stein stoße.“ (Ps. 91)
Dr. Jürgen Meyer-Wilmes