Gertrud Bobert

Heilig Geist Gemeinde, Berlin-Westend


Es war noch kalt in jenen frühen Tagen des Jahres 1943. Das Leben in der Hauptstadt Berlin war schwer geworden. Es fehlte an allen Ecken und Enden am Nötigsten. Der Krieg in seiner Furchtbarkeit war schon lange kein Geschehen nur fern an der Front, sondern hatte sich böse in das Alltagsleben aller eingefressen. Der Steyler Missionar Pater Franz Koitka, Kuratus der Heilig Geist Gemeinde in Berlin-Westend, begab sich in die Sakristei zur Vorbereitung für einen besonderen Gottesdienst. Es war der 6. Februar 1943.

Eine Taufe war zu spenden – doch war es nicht die gewohnte frohe Feier mit einem Säugling, dankbaren Eltern, Geschwistern und stolzen Großeltern und Paten. Eine 39-jährige Frau bat um das Sakrament. War dies schon außergewöhnlich genug, kam noch hinzu, dass der Täufling einer jüdischen Familie entstammte. Eine Lebenswende fand statt. Die Seelsorgshelferin der Gemeinde hatte den Täufling vorbereitet und wurde ihre Patin.

Es ist nicht überliefert, wer außer dem Ordenspriester und der Schwester noch an der Feier teilnahmen. Und es ist dem Pater Koitka hoch anzurechnen, dass in diesem Moment für ihn allein zählte, den Wunsch einer erwachsenen Person nach dem Sakrament der Taufe nachzukommen. Ressentiments oder Angst vor Benachteiligung und Verfolgung hatten hintenan zu stehen. Gertrud Maria war die Name, die dem Täufling in der Feier gegeben wurden. Pater Koitka konnte sich noch später an diesem Moment erinnern. „Man spürte es ihr an, wie sie sich in unserer Gemeinschaft geboren fühlte“, hielt er in seinen Erinnerungen fest.

Man kann verstehen, dass Gertrud Maria Bobert, geboren im Jahre 1904, diese Erfahrungen teuer waren. Sie hatte das Gegenteil erlebt. Ihr Vater und ihr Großvater mütterlicherseits waren Juden gewesen. Mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus und der Verfolgung der Juden lebten die Familien in ständiger Angst um ihr Leben. Gelang es zunächst noch den elterlichen Kürschnerbetrieb und das Familienleben vor dem Zugriff zu bewahren, musste Gertrud Bobert im Jahre 1942 den Tod der Eltern durch Deportation nach Riga hinnehmen. Ihre Schwestern suchten ebenso der Verfolgung zu entrinnen. Gertrud wechselte öfter den Wohnort, ihre Ehe zerbrach, sie versuchte möglichst unscheinbar zu leben.

Der Tag der Taufe war wohl der letzte glückliche Tag ihres Lebens. Schon drei Wochen später, am 27. Februar 1943, wurde sie an ihrem Arbeitsplatz festgenommen. Sie galt als Jüdin. Ihre Taufe und ihre Ehe mit einem Deutschen machten keinen Unterschied. Mit dem 34. Osttransport am 4. März 1943 wurde sie nach Auschwitz gebracht. Sie gehört zu denen, die direkt nach der Ankunft in den Gaskammern des Lagers ermordet wurden.

Autor:
Prälat Prof. Dr. Helmut Moll
Beauftragter der Dt. Bischofskonferenz für das Martyrologium des 20. Jahrhunderts