Dr. Richard Kuenzer

Quelle: Reproduktion Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Gemeinde Heilig Geist, Berlin-Charlottenburg

Adresse: Ulmenallee 29

Geboren am 06. September 1875. Von der SS ermordet in der Nacht vom 22. zum 23. April 1945 in Berlin.

In einem Bericht des Chefs der Sicherheitspolizei an Reichsleiter Bormann nach dem missglückten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 heißt es über Dr. Kuenzer: Er habe „einem auf das Christentum gegründeten Gemeinschaftsleben“ das Wort geredet und „in dem nationalsozialistischen Regime das große Hindernis für einen Frieden“ gesehen, „wie er von vielen Angehörigen der Verschwörung herbeigewünscht wurde“. Doch Kuenzer war bereits ein Jahr vor dem Attentat, am 5. Juli 1943, verhaftet worden. Sein Name war in den Verhören des wenige Tage zuvor wegen seiner Bemühungen um Frieden und Versöhnung erneut festgenommenen Priesters Dr. Max Josef Metzger gefallen.

Vor dem Ersten Weltkrieg stand der promovierte Jurist jahrelang als Diplomat im Dienst des Auswärtigen Amtes, so als Konsul in Paris, Kapstadt, Johannesburg und Sansibar. Mit dem Krieg war seine diplomatische Karriere beendet. Als Mitglied der Zentrumspartei blieb er politisch aktiv und trat besonders für die Versöhnung mit Frankreich und Polen ein. Er engagierte sich in dem 1919 unter Mitwirkung von Dr. Metzger gegründeten Friedensbund Deutscher Katholiken. Dem Versöhnungsgedanken hatte sich auch die katholisch geprägte Zeitschrift „Abendland” verschrieben, als deren Herausgeber er 1925-1930 zeichnete. 1925 übernahm er darüber hinaus in Berlin die Aufgabe als Direktor der katholischen Tageszeitung „Germania”, dem Organ der Zentrumspartei. Auseinandersetzungen mit Franz von Papen, Aufsichtsratsvorsitzender des Verlages und Mitglied des rechten Zentrumsflügels – später Vizekanzler unter Hitler – führten zwei Jahre später zu seinem Ausscheiden. Seine aus der Diplomaten-Zeit bestehenden Kontakte ins Ausland nutzte Kuenzer, um rassisch Verfolgten zu helfen.

Bereits in den ersten Jahren nach Hitlers Machtübernahme hatte er Kontakt zu Oppositionsgruppen, insbesondere zum sogenannten Solf-Kreis, in dem sich gleichgesinnte Diplomaten des Auswärtigen Amtes zum Gedankenaustausch trafen. Zusammen mit den im September 1943 verhafteten Teilnehmern des Solf-Kreises wurde er wenig später im Gefängnisbau des KZ Ravensbrück inhaftiert. Die Schauspielerin und spätere Ordensfrau Isa Vermehren, „Sippenhäftling” in Ravensbrück, berichtet, wie der fast Siebzigjährige dort gefoltert wurde: „Zu den nicht zu vergessenden Gestalten ... gehörte der alte Herr Kuenzer, der eines Morgens eingerollt in eine Decke vom Verhör zurückgebracht wurde. Man hatte ihn so furchtbar dabei geprügelt, dass er über 14 Tage bei offener Zelle unter ständiger Pflege mehr tot als lebendig im Bett lag".

Nach dem gescheiterten Hitler-Attentat wird ihm auch eine Mitverantwortung an dieser Verschwörung angelastet. Seine Frau wird in Sippenhaft genommen. Im Zellengefängnis in der Lehrter Straße in Berlin-Moabit soll er auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof warten. Doch der Prozess wird mehrfach verschoben, schließlich auf den 27. April 1945 festgelegt. In der Nacht vom 22./23. April, als die Rote Armee bereits in den Ostbezirken Berlins steht, werden Richard Kuenzer und 15 weitere Häftlinge von einem SS-Kommando aus ihren Zellen geholt. Statt freizukommen, wie ihnen vorgetäuscht wird, werden sie auf ein nahe gelegenes Ruinengelände geführt und erschossen. Ein einziger überlebte die Mordaktion schwer verletzt und konnte später davon berichten. Erst am 5. oder 6. Mai wurden die Leichen gefunden und auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in einem Massengrab beigesetzt.

Weggefährten sprechen von Richard Kuenzer als einem „Friedenssüchtigen“. „Die Leidensbereitschaft dieses von innen her strahlenden, ja heiteren Menschen”, bezeugt sein Schwager, „war aus tieferen Urgründen als aus denen des politischen oder sonstigen Verstandes genährt. Kuenzer war tief religiös.“

Dr. Jürgen Meyer-Wilmes