Gedanken zu Ostern 2022 von Erzbischof Dr. Heiner Koch

Erzbischof Dr. Heiner Koch schrieb für die Berliner Morgenpost zu Ostern 2022:

„In Butscha haben wir im Sommer auf einer kleinen Insel gebadet, Plow gekocht, eine riesige Gruppe von Freunden. Jetzt wurden dort und in anderen Vororten 400 Leichen von massakrierten Zivilisten entdeckt und Massenvergewaltigungen an Frauen und Mädchen aufgedeckt. Ich frage mich, womit ist nun das Christentum beschäftigt? Mit Ostereiern? Ist es Angst vor Putin? Oder Pazifismus? Oder wird viel gemacht und wir sehen es einfach nicht?“ Die Frage der ukrainischen Autorin Katja Petrowskaja lässt mich nicht los.
Sie treibt mich um, auch wenn gottlob viel Hilfreiches geleistet wird – konkrete und unbürokratische Hilfe für Geflüchtete in Form von Unterkünften, Beratungsangeboten und Spenden, Hilfslieferungen und Unterstützung für die Menschen in der Ukraine, diplomatische Anstrengungen auch im Vatikan und himmelsstürmende Gebete um Frieden.

Nein, es geht nicht um Ostereier – darum geht es im Kern des Osterfestes wirklich nicht – es geht um das Kreuz, nicht nur an Karfreitag, sondern auch an Ostern. Ein weißes Kreuz auf rotem Grund – umstellt von symbolischen Flammen, das sog. „Flammenkreuz“ der Caritas – ist auch in der Ukraine bekannt und durchaus weit verbreitet. Es ist ein Signal dafür, dass es hier Hilfe gibt. Es ist aber auch ein Zeichen für das Leid, das Menschen tragen müssen, auch dafür steht dieses Kreuz in der Ukraine mit brennender Aktualität.

Zwar feiern wir in diesem Jahr Ostern wieder mit einigen Erleichterungen im Umgang mit der Corona-Pandemie, aber wiederum belastet und bedrückt: Die Nachricht von der Auferstehung Christi setzt sich gegen Meldungen von Krieg, Vertreibung und schweren Kriegsverbrechen deutlich schwerer durch. Und dennoch feiern wir Ostern in diesem Jahr vielleicht mit einer ganz besonderen Kraft: Die Not unserer Geschwister in der Ukraine eint Europa darin, gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen. Endlich blicken wir auf unsere Nachbarn in Osteuropa – mit großer Anerkennung und Respekt für das, was sie für Geflüchtete aus der Ukraine leisten. Wie viel schwerer sind Aufwand und Kosten, die ärmste Länder wie die Republik Moldawien auf sich nehmen? Wo wir sie unterstützen können, wollen wir das tun!
Die Caritas hat die Ukraine nicht verlassen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bleiben an der Seite der Menschen, ihre Kontakte und ihre Infrastruktur sind – natürlich – auch in Mitleidenschaft gezogen, aber sie bleiben nahe dran, denn Caritas heißt bekanntlich Nächstenliebe.

Auch die Solidaritätsaktion der deutschen Katholikinnen und Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa steht unter einem lateinischen Leitwort: „Renovabis“. Das bedeutet auf Deutsch „Du wirst erneuern“ und ist ein Zitat aus dem Psalm 104 „Du sendest deinen Geist aus: Sie werden alle erschaffen und du erneuerst das Angesicht der Erde“ (Ps 104,30). Wer die aktuelle Berichterstattung aus dem Kriegsgebiet verfolgt, dem mag der Satz im Hals stecken bleiben. Zu schrecklich sind die Bilder der Zerstörung, zu viel gibt es zu erneuern, zu viel unwiederbringlich zu betrauern. Ist „Renovabis“ nur ein frommer Wunsch? Psalm 104 ist ein „Loblied auf den Schöpfer“, wie das Gebet überschrieben ist. Er beschreibt nahezu paradiesische Zustände und endet mit dem Vers: „Die Sünder sollen von der Erde verschwinden und Frevler sollen nicht mehr da sein.“
Die Erneuerung der Erde ist also untrennbar mit der Frage nach Gerechtigkeit verbunden. Wenn in der Sprache der Bibel von Sündern und Frevlern die Rede ist, ist damit nichts anderes gemeint. Die Erneuerung der Ukraine, ein Wiederaufbau ist also untrennbar damit verbunden,
die Ungerechtigkeit klar zu benennen, Verbrecher anzuklagen und zu verurteilen. Auch das gehört zur Osterbotschaft dieses Jahres.

Vielleicht feiern wir aber gerade in diesem Jahr das Osterfest – trotz der Unsicherheit und Sorgen – besonders hoffnungsvoll: Dass das Leid irgendwann wirklich ein Ende findet, dass die Liebe Gottes stärker ist als alle Mächte des Todes in dieser Welt. Welch einen Trost vermag dieser Glaube zu schenken!
Daran zu glauben mag uns heute besonders schwerfallen. Wenn wir aber die biblischen Auferstehungsberichte lesen, stellen wir fest, dass die Erfahrung von Ostern schon damals bei den Jüngern Zeit gebraucht hat, bis sie ihre Wirkung entfaltete. Das Markus-Evangelium endet ursprünglich mit dem Satz: „Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich.“ (Mk 16,8) Auch das ist eine Ostererfahrung: das Nichtwahrhabenwollen des menschlich Unvorstellbaren, fast so, wie wir ja auch das Ausmaß der russischen Aggression gegen die Ukraine nicht wahrhaben wollten.

Die Jünger haben fünfzig Tage gewartet, bis sie sich an Pfingsten öffentlich zum Auferstandenen bekannt haben. Wir haben keine Zeit, wir müssen unsere Botschaft des Lebens, des Friedens unüberhörbar machen, auch wenn uns gar nicht danach zumute ist. Dazu gehört auch, dass wir anerkennen, dass zu einem gerechten Frieden auch das Recht auf Verteidigung gehört, dass zu einem menschenwürdigen Leben auch das Verurteilen von Unrecht gehört.

Und wenn wir nicht weiter hoffen, die wir an Ostern das Fest der Auferstehung feiern, das Fest des Vertrauens, dass Gott uns nicht im