Noch viele TabusBerliner Fachtag über Sexualpädagogik unter dem Dach der Kirche

Berlin (KNA) Abtreibung, Homosexualität, Selbstbefriedigung: Das Spektrum beim Thema "Sex" ist auch in katholischen Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche so weit, wie es die Gesellschaft vorgibt. Doch die Tabus sind ebenfalls groß, wie Pädagogen und Sozialarbeiter am Dienstag bei einer Tagung einräumten.

In der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin tauschten sie Erfahrungen in der "sexualpädagogischen Arbeit" aus. Eingeladen hatte das "Katholische Netzwerk Kinderschutz im Erzbistum Berlin", das sich als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal von 2010 gegründet hat. Dabei kooperieren die wichtigsten kirchlichen Dienste und Einrichtungen, die sich gegen Missbrauch engagieren. Laut Präventionsprogramm gehört dazu eine sexualpädagogische Begleitung von Kindern und Jugendlichen "als integraler Bestandteil der Persönlichkeitsbildung".

In der Praxis ist dies jedoch alles andere als einfach: "Wenn Sie im Unterricht nochmal über Kondome sprechen, gehen wir zum Bischof", bekam eine Lehrerin von Eltern zu hören. Eine Erzieherin sprach von ihrer Unsicherheit, wo bei "Doktorspielen" von Kindern die Grenzen zu ziehen sind. Kollegen sind in solchen Fällen oft keine Hilfe: "Ausgeklammert" und "Schweigen" lauteten zwei lakonisch knappe Antworten auf die Frage, wie Teams in Kindertagesstätten oder Schulen mit solchen Spannungen umgehen. Die Verunsicherung ist groß auch angesichts einer Sexualethik, mit der sich die katholische Kirche wie keine andere große Institution im Widerspruch zum gesellschaftlichen Trend befindet. "Schließlich könnte mein Arbeitsplatz auf dem Spiel stehen, wenn ich die Lehre der Kirche infrage stelle", brachte ein Pädagoge seine Befürchtungen auf den Punkt.

Eine "wachsende Kluft" bei Kirchenmitarbeitern zwischen offizieller Lehre und innerer Überzeugung bestätigte bei der Tagung auch der Psychotherapeut und Theologe Wunibald Müller. Er leitet das Recollectio-Haus in Münsterschwarzach (Bayern), das Seelsorger in Lebenskrisen betreut. Solche Krisen sind nach seiner Erfahrung oft die Folgen einer fehlenden oder unsachgemäßen Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität. "Der Missbrauchsskandal ist ein Beispiel für Deformationen, die entstehen, wenn Menschen nicht offen und erwachsen mit ihren Veranlagungen umgehen", warnte der Therapeut.

"Sexualität nicht bagatellisieren, aber auch nicht überhöhen", riet Müller seinen Zuhörern. Das kirchliche Leitbild der Ehe zwischen Mann und Frau sei für sich genommen "sehr positiv", betonte er. Zugleich sei aber unbestreitbar, dass es "nur eine Form sexueller Realität" sei. In seiner Forderung, die kirchliche Ethik "nicht primär als System von Verboten" zu verstehen, berief der Theologe sich auf Papst Franziskus. Wenn Franziskus etwa von "homosexuellen Menschen" spreche, schlage er einen grundsätzlich anderen Ton an als viele seiner Amtsvorgänger.

Mut zu neuen Wegen machte den Pädagogen und Sozialarbeitern auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch. In einem Grußwort zur Tagung bat er sie "um eine profilierte sexualpädagogische Arbeit" in ihren Einrichtungen. Sie sollten jungen Menschen glaubwürdig aufzeigen, dass der christliche Glaube und sein Menschenbild "zur Selbstverwirklichung, zu wahrer Beziehung und Intimität freimachen können", schrieb Koch, der die Familienkommission der Deutschen Bischofskonferenz leitet. Die unterschiedlichen Vorstellungen über Sexualität in der Gesellschaft dürften sie dabei nicht ausblenden. "Eine Kirche, die den Menschen heutzutage versucht, ihre Meinung aufzuzwingen, ist verrückt", betonte der Erzbischof.