Berlin (KNA) Dass ein Kardinal aus Rom eine öffentliche Vorlesung hält, gehört an der Berliner Humboldt-Universität nicht eben zum Alltag. So ist schon allein die Tatsache bemerkenswert, dass der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Kardinal Kurt Koch, eine Ringvorlesung an der traditionsreichen Berliner Hochschule eröffnet und sein Vorgänger im Amt, Kardinal Walter Kasper, diese gut ein Jahr später beendet. Die über zwei Wintersemester gehende Vorlesungsreihe bezog sich - wenig überraschend - auf das 2017 anstehende 500-Jahr-Gedenken der Reformation. Organisiert wurde sie vom Guardini-Professor für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung, Ugo Perone.
Die seit elf Jahren bestehende Stiftungsprofessur, die sich nach den Worten von Universitätspräsident Jan-Hendrik Olbertz bereits "großes Ansehen in der akademischen und der nichtakademischen Öffentlichkeit erworben" hat, bildet dort eine Art katholische Insel. Benannt ist sie nach dem Philosophen und Theologen Romano Guardini (1885-1968), der bereits von 1923 bis 1939 an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität viel beachtete Lehrveranstaltungen gehalten hatte. Die Nominierung der bisher vier Professoren - nach dem Deutschen Ludger Honnefelder, dem Österreicher Edmund Runggaldier, dem Luxemburger Jean Greisch seit 2013 der Italiener Perone - zeigt das Bemühen, unterschiedliche Stimmen aus der katholischen Welt zu Wort kommen zu lassen. Angesiedelt ist sie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät, die ökumenische Ausrichtung ist damit vorgegeben. Für Perone heißt Ökumene nicht, die Differenzen einzuebnen. Vielmehr gehe es um eine "komplexere, tiefere Form der Einheit, die der Differenz Rechnung trägt", sagte er abschließend bei der Ringvorlesung. Damit wolle er zum Respekt und zum gegenseitigen Verständnis für unterschiedliche Haltungen beitragen.
Die - von den evangelischen Theologen Notger Slenczka und Dorothea Wendebourg mit vorbereitete - Ringvorlesung holte in dieser Perspektive sowohl thematisch als auch von den Referenten her weit aus: Der erste Durchgang im Wintersemester 2014/15 befasste sich unter dem Titel "Ökumene einer Streitkultur?" mit "Luthers katholischen Kontrahenten". Die Zeit der Reformation, heißt es in der Konzeption, war "auch auf der Gegenseite keineswegs einfach ein Zeitalter des Niedergangs, der Zerrüttung oder des Roll-backs, das zwangsläufig in die dunkle Epoche des Konfessionenhasses führte. Vielmehr handelte es sich in vielfältiger Hinsicht auch um eine Blütezeit, die das philosophische und theologische Denken außerordentlich befruchtet, zudem eine Erneuerungsdynamik in Gang gesetzt und darüber hinaus einen großen Reichtum an künstlerischen Zeugnissen hervorgebracht hat." Die Vorlesungen stellten bekannte und weniger bekannte Theologen des 16. Jahrhunderts wie Johannes Eck, den Humanisten Erasmus von Rotterdam, die Italiener Girolamo Seripando und Gasparo Contarini sowie die Spanier Bartolome Carranza und Diego Lainez vor.
Im zweiten Zyklus mit dem Titel "Systemkonkurrenz und Koevolution - die christliche Welt nach der Reformation" ging es vor allem um die "Nach- und Fernwirkungen von Reformation, katholischer Reform und Gegenreformation". Die Beiträge befassten sich etwa mit den Entwicklungen in Institutionen, Erkenntniseinstellungen, Ästhetik, Milieu- und Mentalitätsausprägungen. Leitender Gedanke war dabei, "dass die Perspektive nicht verengt wird auf alte konfliktuelle Positionen, sondern der Blick gelenkt wird auf die Entstehung und Entwicklung neuer Weltbilder, neuer Formen des Weltverständnisses und neuer kultureller Leitcodierungen, die aus der Auseinandersetzung mit dem reformatorischen Erbe und in deren Folge entstanden sind".
Nach Einschätzung der Geschäftsführerin der Berliner Guardini-Stifung, Mariola Lewandowska, war die Ringvorlesung - auch im Vergleich mit den vorangegangenen Reihen - ein großer Erfolg, wenn auch nicht immer wie bei den Referenten Koch, Kasper oder Udo di Fabio der Senatssaal der Universität überfüllt gewesen sei.
Ergänzt wurde die Vorlesungsreihe durch eine "Summer School" für jüngere Wissenschaftler/innen aus einem breiten Spektrum geistes- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen, deren erster Teil 2015 in Rom stattfand und dessen Fortsetzung im Erfurter Augustinerkloster geplant ist. Studenten, die neben der Ringvorlesung ein Blockseminar absolviert haben, können sich entsprechende "Credits" anrechnen lassen. Und für das nächste Wintersemester bereitet Perone, dessen zunächst zweijährige "Amtszeit" bis Sommer 2017 verlängert wurde, eine Fortsetzung der Ringvorlesung vor.