Feuer und Flamme für Gott und die Jugend
Esther Göbel, Pastoralreferentin im Erzbistum Berlin, Jugendseelsorgerin und Stammeskuratin
Feuer, Wasser und Luft sind in ihrer Schönheit faszinierende Elemente der Natur. Sie können aber als Brände, Flut und Sturm auch sehr beängstigend sein. Insbesondere das Feuer ist dem Menschen in seiner Ambivalenz geläufig. Kleinere Negativerfahrungen mit der zerstörerischen Seite von Feuer hat wohl jeder Mensch im Laufe seines Lebens gemacht und sich das ein oder andere Mal eben nicht nur im übertragenden Sinne „die Finger verbrannt“. Trotzdem - oder gerade deswegen - übt gerade das Feuer ungeheure Faszination aus: ob in einem Kaminofen, einem Lagerfeuer oder einer Kerzenflamme - es ist einfach schön anzusehen, wie die Flammen züngeln, sich in Holz fressen und dabei in verschiedensten Farben leuchten. Feuer verbreitet eine gemütliche Atmosphäre, strahlt Ruhe, Wärme und Frieden aus - wenn es begrenzt und dosiert ist, damit es nicht zur Gefahr wird.
Wenn Gott in der Bibel in Erscheinung tritt, tut er dies häufig in Form des Feuers: im brennenden Dornbusch erscheint der Herr dem Mose (Ex 3,2), er zieht dem Volk Israel nachts in Form einer Feuersäule voran (Ex 13,21), beim Gebet Elias’ fällt Feuer vom Himmel (1 Kön 18,38) und beim Pfingstwunder zeigt sich seine Gegenwart in Form von Feuerzungen (Apg 2).
Beziehung ist Spannung zwischen zwei Polen
Zwischen dem Feuer und dem Glauben besteht eine Parallele: beide können nur so lange bestehen, wie sie genährt werden. Das Feuer muss gehütet werden, sonst erlischt es. Ähnliches gilt auch für die Beziehung zu Gott. Beziehungsgeschehen ereignet sich nur in der Spannung zwischen zwei Polen, sonst kommt es nicht zustande. Nur wenn beide Seiten die Beziehung bejahten und pflegen, kann sie bestehen. Auch die Gottesbeziehung braucht beide: Gott und Mensch. Von IHM her ist uns unkündbare Treue zugesagt. Auch wenn der Mensch sich von ihm abwendet, ist Gottes Hand als Angebot nach uns ausgestreckt. Die wärmende und tragende Kraft einer Gotteserfahrung und einer daraus entstehenden Gottesbeziehung kommt jedoch nur zustande, wenn auch der Mensch (Zeit) in sie investiert.
Wo aber können Kinder und Jugendliche Gotteserfahrungen machen? Wo können sie am eigenen Leib und in ihrer Seele spüren, das er ‚da‘ ist? Und wie kann für sie aus dieser Erfahrung heraus eine gelebte Gottesbeziehung erwachsen, die sie durch das Leben trägt?
Gott am Lagerfeuer
Aus der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit heraus angebotene Zeltlager sind für viele - besonders für Pfadfinderinnen und Pfadfinder - ein entscheidender Teil ihrer Glaubensbiographie. Hier bündeln sich wesentliche Erlebnisse der persönlichen Spiritualitätsentwicklung. Das Lagerfeuer ist für Pfadfinderinnen und Pfadfinder ein allabendlich wiederkehrendes Ritual mit dem Sammeln von Brennholz, dem Errichten und Entzünden, dem Nachlegen und vor allem dem gemeinsame Sitzen mit Singen, Reden oder Schweigen. Rituale geben Sicherheit und stiften Gemeinschaft, gleichzeitig eröffnen sie einen Raum zum Nachdenken. Die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) hat das Element des Lagerfeuers geradezu zum Programm erhoben, indem sie in ihrer Ordnung festhält: „Um Kirche zu beschreiben, verwendet schon die Bibel eine Fülle unterschiedlicher Bilder. Die Kirche, die wir als Pfadfinderinnen und Pfadfinder in der DPSG sein wollen, gleicht einer Gemeinschaft am Lagerfeuer.“ Am Lagerfeuer hat jeder seinen eigenen Abstand, mit dem er sich wohl fühlt. Manche sitzen nahe dran, ihnen ist kalt und sie suchen die Wärme. Anderen ist es zu warm, sie drehen sich weg oder setzen sich weiter nach außen. Jeder sucht sich seinen Platz und doch ist allen gemeinsam, dass sie in Beziehung zu der einen Mitte stehen. Etwas Geheimnisvolles wird spürbar, wenn man den züngelnden Flammen zusieht, ruhig seinem Knacken und Prasseln lauscht und die unbändige Energie und Wärme spürt, die davon ausgehen. Das wärmende Licht des Lagerfeuers ist der zentrale Ort, an dem sich alle versammeln und den Tag ausklingen lassen. Sie kommen ins Gespräch und in Beziehung, kommen ins Fragen, Nachdenken, Planen, Träumen. Das Feuer im Dunkel der anbrechenden Nacht ist der Ort, an dem man sich mit vertrauten Menschen über Gott und die Welt, über die Dinge des Seins austauschen kann. „Dort wird aus Reden Schweigen, aus Hören ein Lauschen, aus Sehen das Schauen und aus Anfassen ein Berühren“ - so beschreibt es Pastoraltheologe Christian Bauer (Bauer, Christian: Gott am Lagerfeuer. Erkundungen zum Romantikbedarf systembewusster Praktischer Theologie).
Lagerfeuer sind somit hochgradig spirituelle Orte. Die Herausforderung einer Kuratin - und jedes anderen geistlichen Leiters - liegt darin, zuzuhören, was die Kinder, die Jugendlichen und die Leiter bewegt und ihre Freuden und Hoffnungen, ihre Sorgen und Nöte im Licht des Evangeliums, aber auch mitten im Leben, mit ihnen zu deuten und auf Gottes unbedingte Leidenschaft für das Leben hinzuweisen. Hier können ihre Lebensereignisse kontemplativ betrachtet und mystagogisch gedeutet werden. Diese Lagerfeuermomente mögen Ausgangspunkte einer geistlichen Erfahrung sein - aber es ist unmöglich dort dauerhaft zu verweilen. Jedes noch so schöne Sommerlager geht irgendwann zu Ende. Lagerfeuer sind also ‚passagere' Orte der Präsenz Gottes (zitiert Bauer Michel de Certeau). Man kann die Erinnerung daran zwar im Herzen bewahren, man darf dort aber nicht verharren. Es ist weiterhin Aufgabe eines geistlichen Leiters in der Begleitung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Entwicklung eines „inneren“ Lagerfeuers“ zu fördern sowie der Erinnerung an solche intensiven Erfahrungen in der Seele einen Platz zu geben und sie zur spirituellen Heimat werden zu lassen.
"Anbändeln" mit Gott
Herzensbildung und Spiritualitätsentwicklung geschehen nicht intellektuell-katechetisch über den Kopf in jugendpastoralen Bildungsveranstaltungen. Jugendseelsorge muss auch zu Herzen gehen können. Lagerfeuer, in welcher Form auch immer, sind immer dann notwendig, wenn es um die Rede von Dingen am Grund der Existenz geht. An solchen Orten wird nicht von Glaubenswissen gesprochen, sondern von Gott. Hier bändeln Jugendliche mit IHM an. Hier fangen sie für den Glauben Feuer - nicht unbedingt für die Kirche oder das Gemeindeleben vor Ort. Sie wollen nicht die Asche verbrauchter Traditionen hüten, sondern im ursprünglichsten Sinne „Theologie treiben“. Dazu brauchen sie zuerst eine vielleicht überwältigende, zumindest aber eine tragfähige Gottesbeziehung, in die sich ihr Herz bergen kann. Ich übersetze ‚Lager-Feuer‘ daher mit ‚Basis-Wärme‘ des Glaubens.