Nicht stehen bleiben

Pastoralreferent Dr. Ulrich Kmiecik, u.a. Krankenhausseelsorger im St. Hedwig-Krankenhaus

St. Hedwig ist das älteste katholische Krankenhaus in Berlin, seit 1846 steht es in der Großen Hamburger Straße, »der katholische Glaube steckt noch in den Mauern«, noch immer beten und arbeiten dort zehn Schwestern. Es ist aber auch eines der modernsten katholischen Krankenhäuser in Berlin. Pastoralreferent Dr. Ulrich Kmiecik arbeitet als Seelsorger in der psychiatrischen Universitätsklinik der Charité, im St. Hedwig-Krankenhaus, das Ende der 1990er Jahre die Alexianer als Geschäftsführung übernommen haben, eine in Deutschland einzigartige Kombination: »Der Wissenstransfer, der dadurch geschieht, ist enorm und fördert die gute Zusammenarbeit in den Abteilungen «, begeistert sich Kmiecik für seinen Arbeitsplatz. Mit seiner Kollegin, einer evangelischen Pfarrerin, und den Ärzten, Therapeuten und Pflegen den arbeite er richtig zusammen, als Teil des Teams. Er bietet verschiedene Gruppen und Gesprächskreise an, aber auch Andachten, die Arbeit mit Bibel und Popmusik gehören auch dazu. »Wir versorgen den sozialen Brennpunkt Moabit/Wedding. Die Begegnung mit Menschen, die auf der Suche sind, die finde ich hier. Arbeitsintensiv und toll , fasst er seine Arbeit zusammen. »Gott ist in meiner Arbeit, er ist da. Man muss ihn nicht einladen, er ist schon hier. Sich das immer wieder klarzumachen, das gehört dazu. Gott ist eben auch da, wo keiner versammelt ist«, so Kmiecik.

Begeisterter Vermittler religiösen Wissens

»Wenn Jesus leben würde, dann in Kreuzberg«, erinnert sich Kmiecik an einen Spiegel-Titel aus dem Jahr 1983, als er selbst nach Berlin zog und in Neukölln und Kreuzberg als Religionslehrer anfing. 1985 heiratete er eine Architektin und wurde Pfarrgemeinderatsvorsitzender der Gemeinde St. Marien-Liebfrauen in Kreuzberg. Gemeinsam wurde das Projekt »Kirche und Kiez« gegründet. 1988 ging er als Pastoralassistent nach Reinickendorf und erlebte dort auch den Fall der Mauer und die vielen Umbrüche im Zusammen - wachsen von Ost und West. Er lebt hier mit den zwei fast erwachsenen Kindern und seiner Frau noch immer.

Ulrich Kmiecik war der erste Nicht-Kleriker, der Dekanatsjugendseelsorger wurde, auch heute hört er die Frage, ob er denn Pfarrer sei, noch häufiger. Mit 40 stieg er aus der Jugendarbeit aus und wechselte in die Krankenhausseelsorge. Im Krankenhaus Moabit begann er mit der Ausbildung und Begleitung von Ehrenamtlichen. Seit 2002 ist er Seelsorger im St. Hedwig-Krankenhaus im Bereich Psychiatrie mit einer halben Stelle. Zudem verantwortet er das von Ehrenamtlichen getragene »Café Oase« mit, das er mit Kollegen schon während der Zeit in Moabit aufgebaut hatte. Die andere Hälfte seiner Arbeit ist weiterhin die Bildungsarbeit, bei der der Pastoralreferent Ehrenamtliche in der Seelsorge ausbildet und begleitet. Seit 2007 ist er außerdem Diözesanlseiter des katholischen Bibelwerks in Berlin.

Bewegung und Nicht-Stehen-Bleiben gehören zu seinem Leben bis heute. Ulrich Kmiecik ist niemals stehen geblieben in seinem Leben, er hat viele Weiterbildungen besucht, 1997 zu einem Thema im Markusevangelium promoviert und gibt seit 1998 Kurse und Seminare an der Freien Universität Berlin am Seminar für Katholische Theologie sowie seit 2006 auch an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen. Durch eine weitere Zusatzqualifikation ist Bibliodrama ein Steckenpferd von ihm geworden. »Das eine ist das Wissen um die Bibel, das andere ist die Aneignung dessen«, sagt Ulrich Kmiecik. »Die Bibelinhalte kann man eben nicht nur im Kopf, sondern auch mit seinem Herz und dem Körper erleben. Kurz und bündig kann man so Bibelwissen rüberbringen«, erläutert er, und man spürt seine Begeisterung für die Vermittlung von religiösem Wissen und Werten. Tradition, so sagt er, ist eben der Schatz der Überlieferung und muss verbindlich gehalten werden. Fortschritt sei ein anderer Pol. Dass Tradition neu erlebbar wird, bedeutet Fortschritt für ihn. Doch jeden Fortschritt müsse man auch nicht mitmachen, erläutert er lächelnd.

»Spirituelle Wenden gibt es häufig im Leben, nichts ist schlimmer, als wenn man stehen bleibt«, sagt Kmiecik und man kann verstehen, was der Mittfünfziger da erläutert. Alle großen Themen, die er im Krankenhaus erlebt, findet er in der Bibel wieder. »Es geht um Rettung, Untergang, Heilung, Erkrankung, Ferne, Nähe. Es ist gut, mit anderen Menschen einen Weg zu suchen, damit umzugehen.« Die Bibelstellen, die ihn immer wieder reizen, sind die des Menschensohns bei Markus, sein Dissertationsthema. Dass die Hoheit und die Niedrigkeit, beides in unserem Glauben zum Erlösungsweg gehören, das ist ein Spannungsfeld, das ihn immer wieder fordert. 

Guter Draht nach oben 

Aufgewachsen ist Ulrich Kmiecik in einem katholischen Elternhaus mit vier Geschwistern in Essen. Zu Hause wurde nicht über Glauben diskutiert oder weiter erläutert, erzählt er, es war »eben schon eng im Glauben«. Erst durch das Erleben von Kaplänen, die Jugendarbeit mit den jungen Leuten gestalteten und ihm als Jugendlichen somit Entfaltungsraum verschafften, hat sich seine eigene Meinung zum Glauben herausgebildet. »Wir hatten jeden Dienstag um 19 Uhr eine Jugendmesse, die haben wir selbst organisiert. Kirche war für mich Freiraum und Begegnungsraum mit anderen.« Einen solchen Gesprächsraum gab es zu Hause nicht, Tischgebete und biblische Geschichten kamen von der Mutter.

Nach dem Abitur folgte für ihn der Schritt nach Bochum. Am Anfang hat er noch Pädagogik und Theologie studiert, aber die Theologie nahm dann immer mehr Raum ein. »Ich musste die alten Sprachen an der Uni nachmachen, das war hart. Ich habe viel investiert, und es hat Spaß gemacht.« Sein Studium beendete er nach 1982 und war zwischendurch zwei Auslandssemester in Paris. Die Frage nach dem Priesteramt hat er sich damals auch gestellt; Kapläne, so sagt Kmiecik, hat er ja als positive Gestalten erlebt. Doch da er immer gebunden war und in Beziehungen gelebt hat, wäre dieser Weg nicht der richtige für ihn gewesen. Seinen Glauben einzubringen und ihn weiterzugeben, hat er aber durch viele geistliche Begleiter gelernt und lebt das auch in seiner Familie. Frau und Kinder sind ebenfalls sozial und kirchlich engagiert – als Angehörige der Gruppe »Fisher man’s Friends« des Verbandes KMF »Gemeinschaft katholische Männer und Frauen« erlebt man dort Glauben gemeinsam. Die Zusammengehörigkeit zu dieser Gruppe hat sich über lange Zeit entwickelt.

Als Pastoralreferent im Erzbistum Berlin kann er sich auf einen »guten Draht zu Eminenz« verlassen. Im Berufsverband der Pastoralreferenten ist der Kardinal regelmäßiger Gast. »In gemeinsamen Diskussionsrunden hat sich eine gute Zusammenarbeit und eine gute Positionierung für unseren Berufsstand entwickelt«, so Kmiecik. »Man kann alles ansprechen und es gibt keine Angst vor Tabuthemen in der gemeinsamen Arbeit. Das ist eine wichtige Grundlage für mich und meine Kolleginnen und Kollegen.«

Auch nach vielen Jahren ist der Arbeitsort Krankenhaus immer noch spannend. 

Anna-Luise Kitzerow-Manthey