Punkrock in der Kirche

von Dr. Helmut Jansen, Pastoralreferent an der Jugendkirche SaM

Mit so einer Überschrift lässt sich leicht öffentliches Interesse erzeugen. Und dem war auch so, als im November 2006 ein Gottesdienst mit Texten und Liedern der deutschen Punkrock-Band „Die Toten Hosen“ in der Jugendkirche SaM stattfand. Sicherlich ist es ein Ziel der Jugendkirche, die katholische Präsenz in der Stadt zu verbessern. „Doch zu welchem Preis?“ – dürften Kritiker entgegnen.

Angesprochen ist ein Hauptkritikpunkt gegenüber den vielen Jugendkirchen, die in den
letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Am Beispiel des „Tote-Hosen-
Gottesdienstes“ lässt sich aber ebenso eine kritisch-reflektierte wie innovativ-kreative Pastoral ablesen, wie sie exemplarisch für die Arbeit eines Pastoralreferenten stehen kann: Bei dem genannten Gottesdienst ging es weder um Anbiederung, Assimilation noch um eine Rattenfängermentalität, „damit endlich wieder mehr Jugendliche in die Kirche kämen“: Die Gefahren einer event- und marktorientierten Logik sind dem ehrenamtlich und hauptberuflich geführten Projektteam der Jugendkirche bekannt. Leitend für die Projektarbeit sind dagegen vor allem zwei Aspekte:

  1. Kirche muss der Ort bleiben, an dem die Fragen, Ängste und Sehnsüchte der Menschen ihren Platz finden können und aus der Sicht des Glaubens in einen umfassenderen Horizont gerückt werden.
    Musik ist für junge Menschen elementar. Sie kann Gefühle widerspiegeln, aufgreifen und verarbeiten. In der Musik verdichtet sich die Erlebenswirklichkeit Jugendlicher. In dem „Tote-Hosen-Gottesdienst“ ging es folglich nicht um eine christliche Vereinnahmung fremder Texte, sondern um das für Kirche notwendige Aufgreifen authentischer Lebensdimensionen. Zumindest stimmt es nachdenklich, wenn die zentralen Lebensfragen mittlerweile auf CDs, aber immer weniger in der Kirche gestellt werden.

    „Ich bin gestern, als ich barfuß war, / auf einer Frage ausgerutscht, / die ich irgendwann mal verloren hab / und die schon länger da gelegen haben muss. / Ich hab solang' nichts mehr von ihr gehört, / ganz vergessen, dass es sie noch gibt. / Sie sagte: "Schön, mal wieder bei dir zu sein." / und begann ein Selbstgespräch. / Wofür man lebt - wofür man lebt... Ich hab mich ganz einfach totgestellt, / so getan als wär ich gar nicht da. / Sie müsse leider nochmal woanders hin, / doch sie käm wieder, sagte sie zu mir. / Ich sah sie grinsen, als sie endlich ging, / und konnte ihre letzten Worte hör'n. / Wofür man lebt - wofür man lebt...“
    (aus: Die Toten Hosen, Wofür man lebt)
  2. Grenzen sollen weder tabuisiert noch nivelliert werden, denn erst in der behutsamen Auseinandersetzung mit Grenzen, begegnet einem Ungewohntes und Fremdes – vielleicht sogar Gott!
    In der Jugendkirche ist weder „alles klar“ und nach einheitlichen Verhaltensmustern geregelt. Noch ist „alles egal“, weil Kirche einfach zu unverständlich geworden ist. In der Jugendkirche wird dagegen Glaube wieder zum Wagnis, denn hier kann Gott zwischen eingespielten Routinen neu entdeckt werden, sofern die Auseinandersetzung mit den eigenen Selbstverständlichkeiten gesucht wird.

    „Ich habe die Unendlichkeit gesehn, / sie ist nicht weit von hier. / Sie liegt auf dem Friedhof und sie ruht sich aus. / Man kann sie atmen hörn. / Sie hat sich unter die Erde gelegt, / bestimmt zwei Meter tief. / Über etwas mehr Licht würde sie sich freuen - / und dass nicht alles hier so ruhig ist. Ich habe die Unendlichkeit gesehn, / sie ist nicht weit von hier. / Zuerst hab ich sie nicht erkannt, / ihr Aussehen hat mich irritiert. / Ich hätte gedacht, dass sie viel älter ist, / und jeder Ernst hat ihr gefehlt. / Sie ist auch lange nicht so groß / wie man sich's vorstellt.“
    (aus: Die Toten Hosen, Die Unendlichkeit)

Die Jugendkirche versteht sich keineswegs als eine Idealform, sondern ausdrücklich als ein Projekt, das an neuen Modellen von Kirche und Liturgie laboriert. Dazu zählt sowohl die Bereitschaft, Fehler zu riskieren, als auch selbstkritisch zu bleiben. Mit Gottesdiensten wie dem „Tote-Hosen-Gottesdienst“ sollen darüber hinaus Anregungen zu einer ähnlichen
Umsetzung in den Gemeinden geschaffen werden.