Weihnachtsbotschaft 2011

von Erzbischof Rainer Maria Woelki

Schaut auf das Kind

Wie kann ich in der vorweihnachtlichen Hektik zur Ruhe kommen? Das ist die Frage, vor der wir Jahr für Jahr stets aufs Neue stehen. Vieles stürzt in den letzten Tagen des Jahres auf uns ein. Zugleich ist der Wunsch groß nach Besinnung und Zu-sich-selber-Kommen. Nicht umsonst ist das Lied von der stillen und heiligen Nacht so populär. Auch hartgesottene Nichtromantiker können sich schwer dem Zauber und Idyll der Weihnacht entziehen. Das hat zu tun mit unserem unstillbaren Bedürfnis nach Heimat und Geborgenheit, am liebsten im Kreis von Familie und Freunden.

Was also können wir tun, um uns der alten und immer wieder neu gehörten weihnachtlichen Botschaft anzunähren? Wie können wir dem Geheimnis der Christnacht auf die Spur kommen, von dem die Heilige Schrift berichtet? „Heute ist euch der Heiland geboren. Christus der Herr“ – so künden die himmlischen Boten. Sie verweisen auf ein Kind, das in unwirtlichen Umständen das Licht der irdischen Welt erblickt.

Schauen wir auf das Kind in der Krippe!

Wer sich in der Haltung der Hirten und Könige nähert, also in Ehrfurcht und im Staunen, der kann eine Menge Botschaften von diesem göttlichen Kind vernehmen:
Das Kind verrät uns etwas über Gott, der als wehrloses Geschöpf zu seinen Geschöpfen kommt. Gottes Allmacht wird nicht in der Stärke, sondern in der Schwäche offenbar.

In Zeiten, in denen wir uns an den vermeintlichen Segnungen der Biotechnologie berauschen, mahnt uns der Blick auf das göttliche Kind zur Demut. Sein Blick sagt uns, dass Leben niemals nur gemacht wird, sondern immer geschenkt ist.

Versuchen wir, im weihnachtlichen Reizüberfluss einen Blick in die Augen des Kindes in der Krippe zu erhaschen. Schauen wir auf das Kind – und lassen wir uns seine Botschaft zu Herzen gehen: Leben ist ein Geschenk, Gott beschenkt uns.

Das ist es, was man früher als Gnade bezeichnet hat. „Heute ist euch der Heiland geboren. Es ist Christus der Herr… Ein Kind in einer Futterkrippe…Angewiesen darauf, dass wir uns seiner annehmen, damit es unser Leben heller und reicher macht.

Berlin, Heilig Abend 2011