Ansprache anlässlich der Vereidigung des neuen Erzbischofs von Berlin
in Mecklenburg-Vorpommern am 22. August 2011
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
wenn ich als katholischer Bischof heute hier vor Ihnen stehe, um vor Gott und auf die Evangelien einen Eid zu schwören, dann mögen sich manche fragen, wie ich es denn mit der Bibel und dem christlichen Glaube halte – ist doch im Matthäus-Evangelium zu lesen (5, 33 ff.), Jesus habe gesagt, wir sollen überhaupt nicht schwören, weder beim Himmel noch bei der Erde. Herr Ministerpräsident, ich versichere Ihnen, obwohl das dort so zu lesen ist: Ich bin trotzdem katholisch (hoffe ich jedenfalls!).
Doch gilt auch hier: Wir sollten keine Worte aus ihrem Zusammenhang reißen. Was der Evangelist Matthäus meint, ist nach heutiger, auch historischer Auslegung eine Absage an inflationäre Beteuerungen und erst recht eine Absage an falsche Beteuerungen, deren Falschheit durch einen dann eben auch falschen Eid versteckt werden soll. Und außerdem: Am Ende seines kurzen Diskurses über das Schwören, schreibt der Evangelist: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“ Also: Um eindeutige und verlässliche Sprache geht es. Hierauf dürfen Sie bei mir zählen.
Auch eine andere Frage mag bewegen: Wie kommt es, dass sich unsere Landesregierung und die Katholische Kirche bei der Ablegung dieses Eides auf das Reichskonkordat von 1933 beziehen, in dem dieser Eid vorgeschrieben ist – also auf eine Abmachung zwischen dem Nazi-Regime und der Katholischen Kirche? Dies erscheint auf den ersten Blick – zumindest politisch - als anachronistisch, vielleicht sogar als skandalös. Doch auf den zweiten Blick ist dieser Eid durchaus zeitgemäß, ist er doch Ausdruck der deutschen staatskirchenrechtlichen Tradition eines partnerschaftlichen und auf Recht und Gesetz gegründeten Verhältnisses zwischen Kirche und Staat. Und nicht zuletzt macht die Eidesformel deutlich, dass die Sorge um das Wohl des Staatswesens und damit seiner Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen dem Staat und der Kirche anvertraut sind.
Bei aller grundsätzlichen Achtung der Politik zeigt sich in diesem Kontext zudem, dass die Kirche von ihrem Selbstverständnis her den Auftrag hat, das Gemeinwesen verantwortlich mitzugestalten. Deshalb wird sie sich niemals der Pflicht und dem Recht zur Gewissensbildung der Menschen entziehen dürfen und ihrerseits Sorge dafür zu tragen haben, dass weiterhin Freiheit und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft gewahrt werden. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass es zum Wohle der Menschen in unserem Land beiträgt, die Botschaft des Evangeliums und die daraus erwachsenden christlichen Werte lebendig zu erhalten bzw. wiederzubeleben. Dies bedeutet keinesfalls, dass die Landesregierung und das Erzbistum Berlin immer einer Meinung sein müssten. Auch wenn wir uns einmal kontrovers auseinandersetzen müssten, dann darf es dafür nur einen Grund geben: das Wohl der uns in unterschiedlicher Weise anvertrauten Menschen. Ich meine, die gegenseitige Achtung dieser uns gemeinsamen Motivation dürfen wir uns gewiss gegenseitig zusprechen.
Mecklenburg-Vorpommern ist nicht nur ein schönes, sondern auch ein weites Land, das ich schon von einigen Urlaubsaufenthalten her kenne. Leider ist Vorpommern von meinem Bischofssitz in Berlin recht weit entfernt. Aber ich werde – wie Sie heute sehen, und auch dafür steht die ja die recht kurzfristig anberaumte Ableistung des Eides hier in der Schweriner Staatskanzlei –, ich werde die Wege nicht scheuen - um der Menschen, um der Pfarrgemeinden und um Gottes Willen! Auch Jesus war ja ständig unterwegs, ist zu Fuß (!) die weitesten Wege gegangen.
Vorpommern grenzt an Polen. Durch meine Eltern, die aus dem heute polnischen Ermland stammen, bin ich unserem europäischen Nachbarn eng verbunden. Diese Nachbarschaft kann und soll auch in unserem Erzbistum Berlin weiter gepflegt und vertieft werden.
Lieber Herr Ministerpräsident Sellering, ich wünsche uns eine gedeihliche, offene und ehrliche Zusammenarbeit, die sich den konkreten Fragen der Menschen in unserem Land stellt und den damit verbundenen Nöten und Herausforderungen nicht ausweicht. Ich verspreche Ihnen, dass wir im Erzbistum Berlin das uns Mögliche zum Wohle aller Menschen tun und dabei die bestehenden Netzwerke der Verbundenheit in kluger und verlässlicher Weise pflegen werden. So versichere ich Sie meiner Solidarität, meines Wohlwollens und vor allen Dingen auch meines Gebetes. In diesem Sinne will ich nun den Treueid leisten. Gott selbst segne die uns anvertrauten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern sowie alle, die für sie Verantwortung tragen.
Herzlichen Dank!