Ansprache des Erzbischofs von Berlin,
Dr. Rainer Maria Woelki, aus Anlass der Eidesleistung vor dem Regierenden Bürgermeister am 16.08.2011
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
dass ich heute vor Ihnen stehe, um einen Treueeid auf die Bundesrepublik Deutschland und das Land Berlin abzulegen, ist ungewohnt. Mein verehrter Vorgänger im Amt des Erzbischofs, der verstorbene Kardinal Georg Sterzinsky, hat einen solchen Eid nicht geleistet. Und seine Vorgänger auch nicht, denn als sie ihren Dienst antraten, war Berlin noch eine geteilte Stadt. Am Sonnabend haben wir ja gerade erst des 50. Jahrestages der Berliner Mauer gedacht, die das Bestehen zweier unterschiedlicher politischer Systeme in der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes „zementieren“ sollte.
Nun, das ist Gottlob Geschichte. Fortwirkende und immer noch prägende Geschichte, aber eben doch: Geschichte. Heute ist Berlin eins von 16 Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland. Der Treueeid des Erzbischofs von Berlin vor dem Regierenden Bürgermeister mag ungewohnt sein, tatsächlich ist er eine Rückkehr in die Normalität. Es ist ein Ausdruck der deutschen Verfassungstradition eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche. Und somit kann ich als erster Erzbischof von Berlin den Bestimmungen von Artikel 16 des Reichskonkordates entsprechen und geloben, „die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und durch meinen Klerus achten zu lassen.“
Ungewohnt, doch in Wirklichkeit normal ist dieser Eid. Aber ist er auch zeitgemäß? Stehe ich als Erzbischof tatsächlich „in der pflichtmässigen Sorge um das Wohl und die Interessen des deutschen Staatswesens?“ - Mag es auch geschichtliche Gründe für die Tatsache geben, dass das Reichskonkordat von einem katholischen Bischof solch ein Versprechen forderte, ich kann es heute immer noch gern und mit gutem Gewissen ablegen. Es ist insofern immer noch zeitgemäß, als die Kirche nicht nur Teil dieser Gesellschaft ist, sondern sich auch als Kirche für diese Gesellschaft betrachtet. Nicht mit dem Anspruch, diese Gesellschaft zu dominieren, aber mit der Überzeugung, dass es Aufgabe jedes Christen und jeder Christin ist, diese Welt mitzugestalten und sich in dieser Gesellschaft zu engagieren. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass es zum Wohl dieser Stadt beiträgt, die Botschaft des Evangeliums und die christlichen Werte zu verkünden.
Als Erzbischof muss und möchte ich meinen Beitrag dazu leisten. Und so biete ich Ihnen, verehrter Herr Regierender Bürgermeister, mit dem Eid meine Zusammenarbeit an. Ich will mich für diese Stadt engagieren. Ich stehe der Regierung als Gesprächspartner zur Verfügung und bin zur Kooperation mit anderen Akteuren der Gesellschaft bereit. Manchmal werde ich vielleicht auch Kritik äußern müssen, wenn ich dem Eid entsprechend „Schaden zu verhüten trachten“ soll. Doch Sie können sich darauf verlasse: Auch dann wird das aus der „pflichtmässigen Sorge um das Wohl und die Interessen“ des Staates und der Gesellschaft heraus geschehen.
Ich freue mich darauf, gleich zu Beginn meiner Amtszeit den Heiligen Vater in Berlin begrüßen zu dürfen, und danke Ihnen, lieber Herr Wowereit, für das herzliche Willkommen, dass sie nach Bekanntgabe des Besuchs ausgesprochen haben. Ich bin gespannt, was der Heilige Vater „der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Berlin“, denen ich heute Treue schwören darf, zu sagen haben wird. Ich bin mir sicher, dass dieser Besuch zum Segen wird.
„Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl“ (Jer 29, 7). Dieses Bibelwort fasst sehr schön zusammen, in welchem Geist ich den Eid vor Ihnen leisten will. Genau dies will ich, der ich aus Köln nach Berlin „weggeführt“ worden bin, mit Freude beherzigen. Herzlichen Dank!