Brückenbauerinnen - Das Pilotprojekt „Soziale Arbeit in der Pastoral“ hat Fahrt aufgenommen

Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter sollen künftig das Pastoralteam ergänzen und als Experten das Bindeglied  zu karitativen und diakonischen Trägern sowie zu nichtkirchlichen Einrichtungen sein.

Das Handy von Andrea Baro klingelt. Die Sozialarbeiterin für den Pastoralen Raum Buch-Bernau-Eberswalde meldet sich, hört konzentriert zu und beendet das Telefonat mit der Zusage: „So machen wir das, ich rufe zurück.“ Eine Seniorin aus einer Gemeinde des Pastoralen Raums braucht Corona bedingt Hilfe. Ehrenamtlich sei das nicht zu leisten; eine medizinische Fachkraft muss sich kümmern, sagt Andrea Baro und kümmert sich erst einmal selbst. Sie vermittelt den Hausbesuch einer Krankenschwester von der Sozialstation. „Ich baue an der Brücke zwischen Kirche und Gemeinwesen.“

Seit 1. Februar 2020 ist Andrea Baro im Einsatz für das Projekt „Soziale Arbeit in der Pastoral“. Ihre erste Aufgabe ist die Sozialraumanalyse: Welche kirchlichen und kommunalen Akteure gibt es, wie sind die Strukturen, welche Netze sind bereits geknüpft, welche sollten noch geknüpft werden. „Also erstmal Klinken putzen, mein Anliegen vorstellen - zum Beispiel im Heim für Wohnungslose in Berlin-Buch bei der Kolpingfamilie oder beim Sozialkoordinator der Gemeinde Wandlitz.“ Dazu kommen Aufgaben wie die Beratung einer Frau aus Klosterfelde, die ihre Wohnung räumen musste. Oder die sich aus der Kooperation mit VITA domus, einer geschützten Wohnunterkunft für obdachlose Frauen und Kinder in Berlin-Karow ergeben.
Der Sozialraumanalyse folgt die Pastoralanalyse. Die Sozialarbeiterin spricht mit den Pfarrern der Gemeinden, deren Gremienmitglieder sowie mit Vertretern der Orte kirchlichen Lebens. Ein nächster Schritt ist das Kennenlernen wichtiger Institutionen, zum Beispiel des städtischen Krankenhauses, der Wohnungsbaugesellschaft, des Jugendtreffs. Hinzugezogen werden ausgewählte Quellen: das Pastoralkonzept, die D4-Analyse, der Kiez- und Kriminalitätsatlas oder der Armutsbericht. Nach Auswertung und Zusammenführung aller Ergebnisse sollen zwei oder drei konkrete Arbeitsaufträge für den Pastoralen Raum formuliert werden.

Klingt nach viel Theorie und noch mehr Zahlen. Andrea Baro lacht: „Stimmt schon, muss aber sein, um auch Menschen mit sozialen Schwierigkeiten zu erreichen oder die keinen Bezug zur Kirche haben. Wie es der Erzbischof bei der Weihe des Bistums gesagt hat: ‚Wir sind heute und in Zukunft Kirche für alle Menschen und für die ganze Gesellschaft‘.“ Andrea Baro berichtet, willkommen zu sein, wenn sie bei kommunalen Trägern anklopft: „Unser karitatives Engagement hat einen guten Ruf.“  

Das Pilotprojekt „Soziale Arbeit in den Pastoralen Räumen“ wurde zusammen mit dem Caritasverband für das Erzbistum Berlin und der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin entwickelt. Zu den in der Pastoral tätigen Priestern, Diakonen, Gemeinde- und Pastoralreferenten eines Pastoralen Raumes beziehungsweise einer neuen Pfarrei sollen künftig Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter einerseits das Pastoralteam ergänzen und andererseits als Experten das Bindeglied zu karitativen und diakonischen Trägern sowie zu nichtkirchlichen Einrichtungen sein.

Perfekt für die Grenzregion

Im Pastoralen Raum Hoppenwalde-Pasewalk unterstützt Sozialarbeiterin Ewelina Lipińska das Pastoralteam. Der Raum umfasst die Gemeinden St. Otto in Pasewalk und Mariä Himmelfahrt in Hoppenwalde mit deren fünf Filialkirchen. Ein „Leuchtturm“ ist der Ort Löcknitz, rund zehn Kilometer von der Grenze und 25 Kilometer von Stettin (Szczecin) entfernt. Steigende Immobilienpreise in Stettin machen Löcknitz wie auch andere Grenzorte, deren Einwohnerzahl nach dem Ende der DDR massiv zurückgegangen war, für polnische Zuwanderer attraktiv. Dieser Entwicklung in der vorpommerschen Grenzregion trägt das Erzbistum mit dem Begegnungszentrum „mia“ in Löcknitz Rechnung. In einer umgebauten ehemaligen Gaststätte soll es deutsche und polnische Einwohner zusammenbringen. Zweisprachige Gottesdienste und Veranstaltungen wie die Projekttage für Kinder und Jugendliche finden dort statt, die Caritas bietet Beratungen an. „Mia“, abgekürzt für „Miteinander in Aktion“, ist offen für kirchliche wie für zivilgesellschaftliche Aktivitäten - unabhängig von Religion, Kultur, Geschlecht oder sozialem Stand.

Ewelina Lipińska spricht sowohl polnisch als auch deutsch, perfekt für die Grenzregion, und sie hat den sozialraumorientierten Blick: „Meine Aufgabe ist es, eine Brücke zwischen säkularen und kirchlichen Institutionen zu schlagen, damit die Angebote der Katholischen Kirche auch diejenigen anzieht, die nicht an Gott glauben.“ Die Sozialarbeiterin besucht evangelische und katholische Gemeinden, spricht mit Bürgermeistern und der Volkssolidarität, mit Schulsozialarbeitern, Kitaleitern und mit Leitern der Senioreneinrichtungen. „Viele wundern sich erst einmal, dass jemand von der Katholischen Kirche über eine mögliche Zusammenarbeit im sozialen Bereich sprechen möchte, weil ja nicht viele Katholiken hier leben.“ Doch in den Gesprächen zeige sich, dass man vieles gemeinsam anpacken könne. Sowohl im Bereich der offenen Jugendarbeit als auch in der Seniorenarbeit sieht Ewelina Lipińska große Chancen, sich einzubringen:  „Zum Beispiel haben wir in Löcknitz viele Jugendliche, für die es kaum Freizeitangebote nach der Schule oder während der großen Schulpause gibt. Oder dass hier in der Region viele Senioren leben, für die wir zusammen etwas tun können.“

Netzwerkerin zwischen Kirche und Kommune

Der dritte Pastorale Raum für das Pilotprojekt befindet sich im Nordosten Berlins. Hier verstärkt Sozialarbeiterin Juliana Wiencek das Pastoralteam. Zum Raum gehören die Gemeinden St. Georg, Pankow, Ss. Corpus Christi, Prenzlauer Berg, St. Josef, Weißensee, Heilig Kreuz, Hohenschönhausen sowie die Portugiesisch sprechende Gemeinde im Katharinenstift. Hinzu kommen fünf Kitas, fünf Caritaszentren, Senioreneinrichtungen, Hospizdienste, das Schulzentrum Edith Stein, die Theresienschule, das St. Joseph-Krankenhaus der Alexianer, die Caritas-Klinik Maria Heimsuchung, die Suppenküche der Franziskaner - allein auf dem Gebiet der Pankower Gemeinde St. Georg gibt es 13 Orte kirchlichen Lebens.
Juliana Wiencek spricht von einem „riesigen Schatz“, den die Kirche in die Zivilgesellschaft einbringen könne: „Netzwerke zwischen Kirche und Kommune sind dazu da, dass wir voneinander lernen können, zum Beispiel zusammen überlegen, wo sich Ehrenamtliche einbringen können und wo Experten ran müssen.“ So könnte die Religiöse Kinderwoche für alle Kinder im Kiez geöffnet werden. Oder man lädt Kinder ein, sich eine Kirche von innen anzugucken: „Am Malchower Weg, wo ich mein Büro habe, fahren Kinder aus zwei Kitas auf dem Nachhauseweg mit ihren Rollern an der Heilig-Kreuz-Kirche vorbei. Wir könnten den Erzieherinnen zum Beispiel anbieten, den Kindern unsre Kirche zu zeigen.“

Der Pastorale Raum im Berliner Nordosten erstreckt sich über den Großbezirk Pankow mit Pankow, Weißensee und einen Teil Prenzlauer Berg sowie Hohenschönhausen mit seinen „Dörfern“ Falkenberg, Malchow und Wartenberg. Die Kirche St. Konrad liegt genau an der Grenze zu Marzahn, ist aber noch Hohenschönhausen. Also Villenviertel und Plattenbau, Sozialhilfeempfänger und digitale Bohemé, Alt- und Neubürger. Hohenschönhausen zum Beispiel hat einen signifikant hohen Anteil an Alleinlebenden, berichtet die Sozialarbeiterin. Etwa 60 Prozent der Bewohner sind Alleinerziehende; rund 60 Prozent der Kinder leben unter der Armutsgrenze „Da frage ich doch nach, wie es denen geht, was sie von uns erwarten und was sie brauchen.“ Kurzum: Was haben Hohenschönhausener oder Prenzlberger davon, dass hier Katholiken leben?
Wichtig ist ihr dabei eine gute Öffentlichkeitsarbeit. Beispielsweise eine Broschüre, in der die Orte kirchlichen Lebens inhaltlich vorgestellt werden: „Und zwar so gut gemacht, dass die Broschüre beim Bezirksamt, in der Kita oder beim Zahnarzt ausgelegt werden kann.“ Aber natürlich auch in den Kirchen, weil oft selbst Gottesdienstbesucher die Orte kirchlichen Lebens nicht kennen. 

Bei allem Brückenbau in den Sozialraum hinein darf die Diakonia nicht aus dem Portfolio einer Pfarrei verschwinden oder gar marginalisiert werden. „Ich nehme die karitativen Aktivitäten der Gemeinden sehr ernst“, betont Juliana Wiencek, „schaue jedoch immer auch auf die 90 Prozent, die hier leben, und nicht zur Kirche gehen. die über Gott oder Kirche gar nicht nachdenken, weil sie den Kopf dafür nicht frei haben“. Ihren Dienst versteht sie sowohl als eine Form, missionarisch zu sein, als auch als Entlastung für Pfarrer, Diakone, Gemeinde- oder Pastoralreferenten: „Kontakte zum Bezirksamt, zum Jugendhilfeausschuss oder zu Wohnheimen zu pflegen, würde einen Pfarrer schon zeitlich überfordern. Pastorale Mitarbeiter sind so vollgepackt mit Anfragen und Aufgaben, da kann ich Druck rausnehmen.“

Gott öffnet neue Räume

Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ergänzen das pastorale Personal, kümmern sich um Menschen am Rande von Kirche und Gesellschaft, heißt es in den Leitlinien des Prozesses „Wo Glauben Raum gewinnt“. Susanne Netzel koordiniert das Pilotprojekt, dessen Ziel es ist, Handlungsfelder und Angebote für die Soziale Arbeit in der Pastoral zu definieren sowie Vorschläge zur Weiterentwicklung zu erarbeiten: „Wir wollen alle Menschen erreichen, ob sie unseren Glauben nun teilen oder nicht und wie auch immer sie leben.“ Gott öffnet Räume, die größer sind als unsere Kirchen und unsere Vorstellung von Kirche.