„Gott lässt uns nicht im Stich!“ Weihnachtspredigt 2023

Ein für viele Menschen schweres Jahr 2023 neigt sich seinem Ende zu. Für viele war es geprägt von Angst und großen Sorgen, ein Jahr voller Kriege, Leid und unsäglichen Entwicklungen: Die furchtbaren Kriege in der Ukraine und in Palästina, die Sorge um die zu uns kommenden Flüchtlinge, die Not, die Klimakatastrophe nicht mehr abwenden zu können, die sich immer weiter öffnende Schere zwischen armen und reichen Menschen, die Spaltung in unserer Gesellschaft und das Wachsen des Extremismus, des Populismus und des Antisemitismus. Viele von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, haben zudem ganz persönliche Nöte zu tragen und leiden etwa unter dem Sterben eines geliebten Menschen. Immer wieder begegne ich Menschen, deren Leben geprägt ist von einer geradezu ohnmächtigen Hoffnungslosigkeit. Ich erinnere mich an eine Beerdigung, an der ich in diesem zu Ende gehenden Jahr teilnahm, bei der ich neben Menschen stand, die nicht an einen Gott glauben, die dem Beigesetzten nur hinterherriefen: „Das war‘s. War‘s das wert?“ Ohne grundlegende Hoffnung zu leben und ohne den Tod überdauernde Hoffnung zu sterben, ist Lebenswirklichkeit vieler Menschen. Das Leben in seinen dunklen Seiten ist für viele vor allem deshalb so hoffnungslos, weil es in ihren Augen einen Gesamtsinn für das ganze Leben nicht gibt: Letztlich verfällt der Mensch und nicht nur sein Körper in die Hoffnungslosigkeit. Da bleibt allenfalls die Option, die der französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus so bildreich beschrieb, als er die Absurdität des menschlichen Daseins ganz tief zeichnete und doch forderte, dass der Mensch das sehr begrenzte, aber ihm Mögliche und Notwendige tun solle, auch wenn es im Ganzen keinen Sinn habe: Die Mühen des Lebens auf sich zu nehmen, das Beste daraus zu machen, auch wenn über Nacht das Erreichte doch wieder zerstört werde.

Vor dem Hintergrund dieser so bedrückenden Lebensauffassung vieler Zeitgenossen bricht sich das Licht der christlichen Hoffnung in dieser Weihnacht Bahn. Alles wird gut, ist die Botschaft des in der Krippe scheinbar so ohnmächtigen Kindes. Alles ist auf dem Weg zur endgültigen, alles und alle umfassenden Erlösung. All das Gute, das wir einander tun, alle Treue und Hingabe, alles Vertrauen, das wir schenken, alles Leid, das wir ertragen, ist geborgen und aufgehoben in der Liebe Gottes, die all dies trägt und vollendet und die bleibt: „Die Liebe wird bleiben wie das, was sie einst getan hat und die ganze Schöpfung, die Gott um des Menschen willen schuf, wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit sein“. (Gaudium et Spes, Pastoralkonstitution über die Kirchen der Welt von heute, Nr. 39). „Die Liebe“ so erkennt Paulus, „hört niemals auf“ (I Kor 13,9).

Gott wird alles heilen und vollenden. Ist diese Hoffnung auf Gott, der im Kind in Betlehem unser Mitmensch wurde, reine von uns produzierte Illusion? Nur eine Projektion unserer unerfüllten Sehnsüchte? Ist diese Hoffnung nur Selbsttäuschung? Entwirft sich der Mensch selbst dieser Hoffnung auf diesen Gott, der diese Hoffnung erfüllen soll, damit wir weniger verzweifelt leben können?

Doch Gott, wie ihn das Weihnachtsfest verkündet und wie er im Kind in der Krippe sichtbar und erfahrbar wird, ist nicht der Traum und die Illusion von Menschen. In diesem Kind in der Krippe wird die ganze demütige Liebe Gottes sichtbar: Weder die Krippe am Anfang des Lebens Jesu noch das Kreuz an seinem irdischen Ende sind Ausdruck menschlicher Gottesvorstellungen. Krippe und Kreuz stehen eben nicht für die Macht eines allherrschenden Gottes, der alles so macht, wie wir Menschen es erträumen. Das Kind in der Krippe offenbart wie das Kreuz jene Liebe Gottes in der Krippe, die den Menschen nie allein lässt, der bei uns bleibt auch in den Nächten unseres Lebens, die nicht weggezaubert werden. Weil er bei uns bleibt und uns nicht im Stich lässt, auch wenn wir ihn manchmal nicht verstehen, deshalb wird die Nacht, in der wir jetzt stehen, zur geweihten Nacht, zur Weihnacht. Gott wurde Mensch, um uns seine Liebe im Zeichen dieses wehrlosen und so liebenden Kindes zu erweisen. Menschliche Träume und Illusionen zerbrechen an der Krippe und am Kreuz, Gottes Liebe in den Nächten unseres Lebens aber bleibt. In der Geburt Jesu hat Gott uns Menschen die Erfüllung aller Hoffnungen auf eine erlöste Welt und auf ein erlöstes Leben endgültig und für immer zugesagt, gezeigt und geschenkt. Für alle Zukunft und alle Ewigkeit gilt seit Weihnachten: „Christ, der Retter ist da!“ Tiefer, radikaler und umfassender als im Kind in der Armut der Krippe und als von den Menschen am Kreuz Hingerichteter kann Gott nicht zeigen, dass er uns Menschen treu bleibt, dass er bei uns bleibt und uns nie allein lässt, nicht im Leben, nicht im Leiden, nicht im Sterben, nicht in den Nächten unseres Lebens, die seit seiner Geburt geweihte Nächte sind, eben Weihnächte. Es hat ihn sein Leben gekostet, seine nie endende Liebe zu uns: Christ, der Retter, ist und bleibt da!