Er war ein wirklich geistlicher Mensch

„Wenn ein alter Mensch stirbt, ist es, als ob eine ganze Bibliothek verbrennt", sagt ein Sprichwort. Am Aschermittwoch ist mein Vorgänger, Weihbischof Wolfgang Weider im Alter von 91 Jahren gestorben.

Für ihn gilt das Sprichwort in vielfältiger Weise:
Zuallererst denke ich an Gebetbücher und die Heilige Schrift: er war ein wirklich geistlicher Mensch. Wie oft habe ich ihn in der Kirche Heilige Familie gesehen, zum Gottesdienst, aber auch zum stillen Gebet. Als er körperlich gebrechlicher wurde, profitierte er davon, dass von seiner Wohnung im Pfarrhaus aus, ein kleines Fenster direkt in die Kirche führte. So konnte er weiterhin mitfeiern und mitbeten.

Verbrannt – wie das Sprichwort sagt – sind mit Weihbischof Weider aber auch viele Geschichtsbücher; 1932 geboren, ist er fast so alt wie das 1930 entstandene Bistum Berlin. Er war 16 als die DDR gegründet wurde, und den Bau der Mauer erlebte er als junger Kaplan in Ost-Berlin.
1982 wurde er zum Bischof geweiht. Als Weihbischof für das gesamte Bistum war er ganz und gar Weihbischof im damals geteilten Berlin. Das brachte er auch dadurch zum Ausdruck, dass er auf seinem Pektorale, dem Kreuz, das ein Bischof auf der Brust trägt, die Umrisse der Berliner Mauer abbilden ließ. Es war ein stiller und dennoch unübersehbarer Protest. Außerdem erinnerte er uns Jüngere immer daran, dass die Einheit des Bistums Berlin trotz Mauer nicht zur Disposition stand. Erst mit dem Fall der Berliner Mauer legte er das Brustkreuz ab.

Eigentlich sollte man dieses Kreuz wieder hervorholen – nicht nur für seine Beisetzung und Nachrufe. Die Einheit unserer ganzen Gesellschaft ist nach wie vor gefährdet. Die „Mauer in den Köpfen“ ist höher als die Berliner Mauer vielleicht jemals war, zwischen Ost und West, aber auch zwischen Reich und Arm und unterschiedlichen politischen und ideologischen Ansätzen.

Insofern ist der Tod von Weihbischof Weider eine wichtige und dringende Mahnung, die Geschichte nicht zu vergessen, um aus ihr zu lernen.