Deutsches Haus Leider doch aktuell!

Eva Bruhns ist Dometscherin für Polnisch. Eigentlich übersetzt sie bei Vertragsverhandlungen, und eigentlich hat ihr Verlobter sich schon festgelegt: nach der bevorstehenden Hochzeit will er ihr nicht mehr erlauben zu arbeiten. Die Miniserie „Deutsches Haus“ nach dem gleichnamigen Roman von Annette Hess spielt im Jahr 1963. Der Verlobte fährt im roten Karmann Ghia zum Antrittsbesuch bei den künftigen Schwiegereltern vor. Und es galt, dass der Ehemann zustimmen muss, wenn seine Frau einen Arbeitsvertrag unterschreiben wollte.

Evas Eltern betreiben das „Deutsche Haus“, eine gut gehende Gaststätte in Frankfurt am Main, die sie samt der dazugehörigen Wohnung möbliert übernommen haben – von wem eigentlich? Der Antrittsbesuch des Verlobten – ein offenbar gut betuchter Versandhauserbe – könnte sich in die gewünschte Richtung entwickeln, als plötzlich das Telefon klingelt: Eva soll einspringen als Übersetzerin vor Gericht.

Sie beginnt sehr professionell, bis sie plötzlich ins Stocken gerät: Das Vokabular ist ihr keineswegs geläufig, ohne ihr Wörterbuch findet sie nicht die Übersetzung für Vergasung, der Ortsname Auschwitz sagt ihr nichts. Denn sie übersetzt vor Gericht die Aussagen die Aussagen von Überlebenden des Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Sie übersetzt, was sie doch offenbar nicht fassen kann, das was sie gesehen, erlebt und erlitten haben. Ob sie – die Aushilfe – weiter machen wolle, fragt sie der Staatsanwalt und empfiehlt ihr, vor allem Vokabeln, die mit Mord und Folter zu tun haben, nachzuholen.

Katharina Stark als Eva Bruhns spielt glaubhaft und überzeugend, dass die etwa 20-jährige Eva Bruhns nicht weiß, was „Vergasung“ auf deutsch heißt, und dass sie den Namen Auschwitz noch nie gehört hat, als sie in ihrer Rolle als Übersetzerin mit der ganzen Monströsität des systematischen Massenmordes, des Holocaust konfrontiert wird. Der historische Hintergrund, die Frankfurter Auschwitz-Prozesse ab dem Jahr 1963 ist real, auch die Unverschämtheit der Beschuldigten, die nicht nur alle Vorwürfe bestreiten sondern auch behaupten die Gaskammern habe es nie gegeben und wenn, dann hätten sie davon gar nichts gewusst.

Die Miniserie „Deutsches Haus“ erzählt linear vom Auftakt des Prozesses bis zu den ersten Urteilen, gegliedert durch das Bewusstwerden der Protagonistin auch über ihre eigene Familiengeschichte und durch die Zeugenaussagen. Er verzichtet auf jegliche Rückblenden, das Schreckliche wird sehr präsent durch das Verlesen der Anklageschrift und durch die Aussagen der Zeugen: beeindruckend ist besonders Iris Berben als Ärztin, die ihre Kinder an der Rampe ins Gas gehen sah, sie spricht den angeklagten Lagerapotheker an, den sie noch aus der Zeit vor dem Krieg kannte. Er bestreitet alles, sein Anwalt legt nahe, bei den vielen ähnlichen Uniformen, könne man sich leicht mal täuschen.

Anke Engelke spielt Evas Mutter als frustrierte Wirtin, die eigentlich Schauspielerin werden wollte so überzeugend, dass man völlig vergisst, dass man sie ja auch schon in Comedy-Rollen gesehen hat. Sie ist dann auch die erste, die für die Täterseite eine ehrliche Aussage macht.

„Deutsches Haus“ ist eine solide Literaturverfilmung eines historischen Stoffs, der dann aber doch erschreckende Aktualität bekommt, wenn man bedenkt, dass auch heute noch und wieder der Holocaust bestritten und geleugnet wird.

„Deutsches Haus“ läuft ab dem 15. November bei Disney+, das ist nicht ideal. Denn man wünschte sich, jeder könnte diese bemerkenswerte kleine Serie sehen.

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=vG6ByPo4-cg