Die Kindheit im Gedächtnis Weihbischof Heinrich trifft polnische Ghetto- und KZ-Überlebende

Foto: Jonas Kuhl

Es duftet nach Kaffee und Kuchen im Bernhard-Lichtenberg-Haus. Als Weihbischof Matthias Heinrich seine Gäste begrüßt, ist die Tafel bereits gedeckt. Zwölf Frauen und Männer aus Polen sind heute gekommen. Sie und ihre Familien sind Opfer des NS-Regimes, lebten in Ghettos oder wurden ins KZ deportiert.

Halina Janek erzählt von den Großeltern, die schon im ersten Weltkrieg auf der Flucht waren. Von ihrer Mutter, die einen jüdischen Mann heiratete, zum Unbehagen der Großmutter. Dieser, ihr Vater, floh kurz nach ihrer eigenen Geburt im Jahr 1942 mit seinem Bruder vor der Gestapo. „Nachdem mein Vater weg war, wollte meine Mutter nicht mehr leben“, sagt sie. Tatsächlich stirbt sie nach einer schweren Krankheit und Halina verbringt das letzte Kriegsjahr bei ihren Tanten und ihrer Großmutter. Auch die Tanten werden schließlich erschossen, eine nach Auschwitz verschleppt. Als Halina nach Kriegsende mit ihrer Großmutter in das Dorf zurückkehrt, ist das Wohnhaus völlig zerstört, die Landschaft ist verbrannt. Schon in den ersten Jahren ihrer Kindheit muss sie sehr viel arbeiten. Zusätzlich kümmert sie sich um ihre Großmutter, die immer schwächer wird: „Ich war das Pflegekind meiner Oma, doch eigentlich pflegte ich sie.“
Ihre Geschichte verdeutlicht die Tapferkeit und das Durchhaltevermögen der Kriegsgeneration, die vielen das Überleben sicherte.
„Ich musste schon früh in meinem Leben hart arbeiten, doch heute habe ich vier Kinder, neun Enkel und einen Urenkel“, berichtet sie stolz.

„Bei vielen kehren die Bilder der Kindheit zurück.“

Wenn die Zeitzeugen erzählen, dann tun sie das oft ausführlich. „Dadurch können die Betroffenen besser mit dem Vergangenen abschließen“, erklärt Monika Herdemerten vom Maximilian-Kolbe-Werk. „Bei vielen kehren die Bilder der Kindheit zurück“.
Seit zwölf Jahren organisiert sie diese Begegnungsreise von osteuropäischen Holocaust-Überlebenden in die deutsche Hauptstadt. Dabei stehen neben den Begegnungen mit Schülerinnen und Schülern sowie dem Bischof auch Erholung und Sightseeing auf dem Programm. Die zwölftägige Reise ist für die Teilnehmer gut gefüllt. „Es macht mir großen Spaß, ist aber auch sehr anstrengend“, so Herdemerten.

Initiiert werden die Begegnungen vom Maximilian-Kolbe-Werk, das sich seit mehr als vierzig Jahren für ehemalige KZ- und Ghetto-Häftlinge einsetzt und zur Verständigung und Versöhnung zwischen dem polnischen und dem deutschen Volk und mit anderen Ländern Mittel- und Osteuropas beitragen möchte.

Zum Ende schenkt Weihbischof Heinrich den Gästen jeweils eine Kerze mit dem Motiv der St. Hedwigs-Kathedrale und dankt ihnen herzlich. „Es ist wichtig, dass Sie das immer wieder erzählen, denn die Vergangenheit hat immer auch Auswirkung auf die Zukunft“.
Nach diesem Nachmittag lässt sich erahnen, welche Erinnerungen sich bei jedem Zeitzeugen der Kriegszeit verbergen und wie wichtig es für Erzähler und Zuhörer ist, dass diese auch Gehör finden.