"Möglichst radikaler Eingriff"Ungewöhnliche Ausstellung alter und neuer Kunst im Berliner Dom

Foto © Uwe Gaasch

Berlin (KNA) Wo ist der neobarocke Prunk geblieben? In der Tauf- und Traukirche des Berliner Doms sind nur noch die ausgemalte Decke und die Orgelempore zu sehen. Alles andere ist hinter grauen Wänden verschwunden und gibt ab Sonntag 106 Tage lang die Bühne frei für eine außergewöhnliche Raumskulptur.

"Du sollst Dir (k)ein Bild machen" lautet der Titel der Ausstellung, für die der Berliner Galerist Alexander Ochs insgesamt zehn Szenen aus Werken alter und zeitgenössischer Kunst konzipiert hat. Sie beziehen sich assoziativ auf die christlichen Feste zwischen der Passionszeit und Pfingsten, sollen sie aber nicht einfach illustrieren. Die Bandbreite der insgesamt 70 Kunstwerke reicht vom Elfenbein-Kruzifix des Bamberger Domschatzes bis zu aktueller Fotografie wie dem "Selbstporträt mit Todesschädel" von Marina Abramovic.

Zum Auftakt treffen die Scherben einer Urne aus der Han Dynastie, vom chinesischen Künstler Ai Weiwei 1995 gedeutet als Metapher für den Bildersturm in seiner Heimat, auf eine Anna-Selbdritt-Figur aus dem frühen 15. Jahrhundert. Das Kunststoff-Multiple "Concetto Spaziale" Lucio Fontanas (1968), dessen Oberfläche der Künstler "verletzte", tritt in Dialog mit dem verschleierten Porträt einer Muslimin des amerikanischen Fotografen Chester Higgins (1999).

Die in hebräischen Buchstaben geschriebene und an die Wand installierte Neonskulptur "Du sollst Dir kein Bild machen" leitet gleichermaßen in das Thema der Schau ein. Es ist zum einen die Auseinandersetzung mit dem Abbildungsverbot im Islam und Judentum sowie den kunstlosen Kirchen der ersten beiden Jahrhunderte nach Christus, es sind aber auch die Folgen des Bildersturms während der Reformationszeit sowie die neue "Lust auf Bilder" seit den 1980er Jahren.

Ochs möchte "Altes mit Neuem, Heiliges mit Profanem mischen" und dabei "einzigartige Korrespondenzen" schaffen. So beispielsweise durch ein Gemälde auf Holz mit einer "asymmetrischen Kreuzigungsdarstellung" aus dem 17. Jahrhundert. Die ikonografische Besonderheit liegt nach seiner Auffassung darin, dass der Evangelist Johannes fehlt, während Maria Magdalena alleine zu Füßen des Gekreuzigten kniet. Mit zugeordneten Arbeiten von Marina Abramovic, Katharina Karrenberg oder Adam Nadel möchte Ochs die gängige Maria-Magdalena-Rezeption, vor allem in den katholischen Gotteshäusern, hinterfragen.

Bei der Auswahl der Exponate hatte er seitens Domverwaltung freie Hand: "Es galt das Prinzip Vertrauen", erklärt Ochs. Die möglichen Bezüge der für die Schau ausgewählten Kunstwerke untereinander sind mannigfaltig: Auf einem Monitor im Ausstellungsraum sind alle schon gezeigten Szenen erlebbar, auf einem zweiten ist das Konvolut aller über den Gesamtzeitraum präsentierten Werke zu sehen. "Ich habe kein Interesse, eine gesetzte Ausstellung zu machen", betont Ochs. "Auch will ich keine Deutungshoheiten". Dennoch würden die Arbeiten in den christlich-abendländischen Kontext zurückgeführt. "Wir besetzen damit einen Begriff wieder neu, den wir nicht bereit sind, der Rechten zu überlassen."

Mit seiner Raumskulptur in der Tauf- und Traukirche hat Ochs einen "möglichst radikalen Eingriff" vorgenommen. Als einen "Dom im Widerspruch" bezeichnet Dompredigerin Petra Zimmermann das Ergebnis. Der neobarocke Prunk wird in 106 Tagen wieder hervortreten - die sinnlichen sowie bewegenden, irritierenden oder gar verstörenden Impulse, denen der Besucher bis dahin ausgesetzt ist, werden mit Sicherheit nachhallen.