Berlin (KNA) Es ist Halbzeit in der tiefgreifenden Gemeindereform des Erzbistums Berlin. Doch eine lange Pause dürfen sich die 412.000 Katholiken in Berlin, Brandenburg und Vorpommern nicht leisten. Schon in fünf Jahren sollen sich weit mehr als nur die Strukturen geändert haben.
Im Advent 2012 hatte der damalige Berliner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, mit einem Hirtenbrief den Wandel eingeleitet, den sein Amtsnachfolger Heiner Koch nun weiterführt. "Wo Glauben Raum gewinnt" lautet seither das ambitionierte Motto. Es geht um mehr als nur Gemeindefusionen, wie sie das Erzbistum einige Jahre zuvor als Reaktion auf eine drohende Pleite verordnet hatte. Nun soll ein "pastoraler Prozess" die Not durch Priestermangel und teilweise kleiner werdende Gemeinden zur Tugend machen.
Denn statt um die Verwaltung des Mangels geht es um einen großen Wurf: Die Gemeindemitglieder sollen mehr als bisher "über den eigenen Kirchturm hinausblicken", bringt es der Generalvikar des Erzbistums, Pater Manfred Kollig, in einer Zwischenbilanz auf den Punkt. Mehrere bisherige Gemeinden sollten sich in neuen "Pastoralen Räumen" zusammenschließen. Dabei sollen sie sich mit "Orten kirchlichen Lebens" wie Kindertagesstätten, Schulen und karitativen Einrichtungen vernetzen, die sie häufig bislang gar nicht im Blick hatten.
"Mir ging das auch so", räumt Wolfgang Klose ein, immerhin viele Jahre Diözesanratsvorsitzender der Katholiken im Erzbistum. Er engagiert sich im Leitungsteam des neuen Berliner "Pastoralen Raums Neukölln-Süd" aus drei bisherigen Kirchengemeinden mit insgesamt 14.500 Gläubigen. Nun kann Klose auch 14 "Orte kirchlichen Lebens" aufzählen, die er und seine Mitstreiter "mit auf der Rechnung haben". Es sind nicht nur eine Schule und vier Kitas in katholischer Trägerschaft, sondern auch der Religionsunterricht an staatlichen Schulen. "Orte gelebten Glaubens", wie Klose lieber sagt.
Die Reform bedeutet nichts weniger als eine neue Perspektive der Kirche auf ihre Aufgaben. "Es geht darum, was wir der Gesellschaft anbieten, aber auch, was wir leisten können", erklärt Kollig. Alles müsse dem Ziel dienen, ein "glaubwürdiges Zeugnis" der christlichen Botschaft zu geben, betont der Verwaltungschef des Erzbistums.
Wie das im Einzelnen gehen kann, bleibt den Gemeinden in einer "Entwicklungsphase" nun weitgehend selbst überlassen. Die Chancen auf Erfolg stehen gut, wie sich nach mehrjähriger "Findungsphase" erwiesen hat. In 30 Fällen hatte Erzbischof Koch keine Einwände gegen die "Pastoralen Räume", auf die sich benachbarte Gemeinde geeinigt hatten. In fünf Fällen half die Kirchenleitung, wenn Gemeinden sich nicht auf ein gemeinsames Votum einigen konnten.
Ein anfangs durchaus hörbares innerkirchliches Grummeln über die Vorgabe von rund 30 Großpfarreien, die am Ende stehen müssen, ist mittlerweile verstummt, zumindest nicht mehr öffentlich hörbar. "Offenbar konnten wir Zweifler überzeugen, dass wir kein fertiges Konzept im Schrank haben", freut sich Markus Weber, der Chef-Koordinator der Reform.
Die Angst, dass die Kirche in Folge der Reform vor Ort anonymer wird, nehmen Weber und seine Mitarbeiter durchaus ernst. Umso stärker bemüht er sich, sie zu entkräften. Die 35 Großpfarreien zu bilden, bedeute nicht, lokale Gemeindestrukturen ganz abzuschaffen, betonen er und seine Mitstreiter immer wieder. Es könnte sogar ganz neue Gemeindeformen mit möglicherweise eigenem Budget entstehen, wenn Christen sich "offen und altersübergreifend zusammen tun, um den Glauben in Wort und Tat zu leben", wirbt Weber.
Für die Seelsorger der künftigen Großgemeinden hat Weber ein weiteres Argument zur Hand. Bereits jetzt nehmen ihnen im Rahmen der Reform acht eigens berufene Verwaltungsleiter administrative Aufgaben ab, doppelt so viele sollen es noch werden. Auch nach dem formalen Ende im Jahr 2023 muss der Erneuerungsprozess nach den Worten von Generalvikar Kollig weitergehen: "Wir müssen uns immer wieder neu finden und entdecken, um uns nicht zu verlieren."