Weihnachten im Krankenhaus Aufgaben und Angebote der Krankenhausseelsorge

Eine schwere Erkrankung oder ein Unfall kann die Pläne plötzlich durchkreuzen, die Festtage zuhause im Kreis der Lieben zu verbringen. Ein Klinik-Aufenthalt ist dann manchmal unumgänglich. Wie neben medizinischer, pflegerischer und therapeutischer Behandlung auch Krankenhausseelsorger*innen helfen können, berichten zwei von ihnen im Interview.

Andreas Theuerl ist katholischer Krankenhausseelsorger an den Vivantes Standorten Klinikum Kaulsdorf und Klinikum Am Urban. Anne Heimendahl ist Landespfarrerin für Krankenhaus- und Altenpflegeheimseelsorge der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und fachlich zuständig für die evangelischen Seelsorger*innen an den Vivantes Standorten.

Frau Heimendahl, Herr Theuerl, spüren Sie in der Weihnachtszeit einen höheren Bedarf an seelsorglicher Begleitung als sonst im Jahr?

Anne Heimendahl: Von einem höheren Seelsorgebedarf zu sprechen, finde ich schwierig, weil ich unabhängig von Weihnachten einen hohen Seelsorgebedarf feststelle. Das hat generell mit den gesellschaftlichen Krisen zu tun, aber auch konkret mit der schwierigen Personalsituation in den Kliniken. Für Seelsorge als einfühlsame Zuwendung, die sich wirklich Zeit für den Einzelnen nimmt, gibt es immer einen hohen Bedarf.

Andreas Theuerl: Jemanden in Krisenzeiten, am Krankenhausbett zu haben und sich etwas Belastendes „von der Seele zu reden“, das kann schon sehr hilfreich sein und geradezu befreien - und damit auch zur Heilung beitragen. Dieser Bedarf seitens der Patient*innen, auch der Angehörigen und mitunter der Mitarbeitenden ist generell da und ja, in der sensiblen Advents-und Weihnachtszeit durchaus verstärkt vorhanden in den Häusern, in denen ich tätig bin.

Wer sucht dann mit Ihnen das Gespräch?

Andreas Theuerl: Zunächst erstmal biete ich Gespräche an, indem ich über die Stationen gehe, auf das Pflegepersonal oder die Ärzt*innen zugehe und mich vor Ort sozusagen erkundige. Anschließend bin ich dann in den Patient*innenzimmern und erlebe fast immer positive Resonanz, viel Zustimmung und große Dankbarkeit seitens der Patient*innen, die oft konfessionslos sind. Es sind tatsächlich nicht selten Menschen, die niemanden haben und deshalb gerne Seelsorge in Anspruch nehmen. Aber auch Patient*innen, die sich auf ein familiäres Netzwerk verlassen können sind meine Gesprächspartner*innen, denn manche Themen können mit einem „Neutralen“ anders und vielleicht sogar zielführender besprochen werden.

Wie unterscheiden sich diese Anfragen von denen im restlichen Kalenderjahr? Oder sind es die gleichen Sorgen und Nöte, die dafür verstärkt auftreten?

Andreas Theuerl: Im Wesentlichen sind es die gleichen Sorgen, die nun vielleicht deutlicher, bewusster von meinen Gesprächspartner*innen wahrgenommen werden. In einer Zeit, in der die Sehnsucht nach freundschaftlichen Beziehungen, nach einem friedlichen Miteinander in der Familie, nach Herzenswärme, Zuwendung, Geborgenheit und Gesundheit besonders groß ist, spüren nicht Wenige, dass Hoffnungen und Wünsche und die erlebte Wirklichkeit mitunter deutlich auseinanderfallen.

Anne Heimendahl: Vor allem das Thema Einsamkeit steht in Seelsorgegesprächen in der Weihnachtszeit noch stärker im Fokus, denn Weihnachten ist bei vielen verwoben mit der Vorstellung eines Familienfestes. Familiäre, jährliche Weihnachtsrituale im Familienkreis - Wer besucht wen? Wer kommt zusammen an den Festtagen? Was gibt es zu essen? Gibt es Rituale wie Liedersingen im Familienkreis? - prägen Vorstellungen und Erwartungen, wie ein „gutes“ Weihnachtsfest auszusehen hat. Umso schmerzlicher sind dann die Erfahrungen, durch Krankheit / Unfall „herausgeworfen“ zu werden aus dem tragfähigen, Geborgenheit vermittelnden Familien-Weihnachts-System. Das Gespräch wird aber auch zunehmend von Mitarbeitenden gesucht, unabhängig von der religiösen Sozialisation und im Grunde aus allen Bereichen: zur Entlastung, zum Wiederauftanken, zur Orientierung.
 
Wie können Sie den Menschen helfen?

Anne Heimendahl: Das kommt ganz auf die Situation an. Meine Lieblingsfrage ist die, die Jesus schon gestellt hat: Was willst du, das ich dir tun soll? Das bedeutet, dass wir erst einmal aufmerksam danach gucken, was „dran“ ist. Und dann kann die Hilfe im Zuhören und Nachfragen bestehen, im miteinander Aushalten von etwas Traurigem oder der Mitfreude an Wunderbarem, darin, gemeinsam ein Adventslied zu singen, zu beten oder um Gottes Segen zu bitten. Hilfreich ist es, wenn Seelsorgende mit Zeit und mit der Bereitschaft, sich einzulassen, wirklich da sind und den ganzen Menschen wahrnehmen – so, wie er, platt gesagt, vom lieben Gott gedacht ist.

Andreas Theuerl: Indem ich versuche diese vorhandenen Hoffnungen und Wünsche wachzuhalten und gemeinsam mit meinen Gesprächspartner*innen nach Lösungen dafür zu suchen oder mindestens nach möglichen Wegen Ausschau zu halten. Manchmal ist es allerdings auch meine Aufgabe zu helfen, sich von bestimmten Hoffnungen zu verabschieden, zu bestärken und zu ermutigen mit der schwierigen Situation umzugehen. Dann schauen wir gemeinsam, welche Ressourcen vorhanden sind. Menschen mit christlichem Hintergrund können durchaus in Gebet und Segen, Kommunion beziehungsweise Abendmahl und Salbung, Halt und Hoffnung, Trost und Zuversicht gewinnen.

Gibt es zu Weihnachten besondere Angebote der Vivantes Krankenhausseelsorge?

Anne Heimendahl: Ja, es gibt in fast allen Häusern Adventsliedersingen auf den Stationen, sei es mit einem eingeladenen Chor oder auch gemeinsam mit Mitarbeitenden - so es angesichts der steigenden Corona Zahlen auf Station verantwortet werden kann. Es gibt Andachten in der Kapelle oder im Raum der Stille, je nach Standort, und es werden Gottesdienste am Heiligabend angeboten. Zudem gibt es jedes Jahr eine ökumenisch gestaltete Weihnachtskarte, die an alle verteilt werden kann. In diesem Jahr mit dem Bild eines Engels, mit der wichtigsten Botschaft in nur drei Worten: Fürchte dich nicht!

Gut angenommen werden von Patienten, Patientinnen, Angehörigen und Mitarbeitenden Aktionen, Hoffnungen/ Gebete/ Wünsche auf Papierzettel (z.B. in Kerzenform) zu schreiben und diese „Hoffnungssterne“ dann an den Weihnachtsbaum anzubringen. So gibt es ein besonders schönes Angebot mit der Sternenwand im Vivantes Klinikum Neukölln, auf der täglich neue Wünsche und Gebete und Dankesworte auf goldenen Sternen angebracht werden.

Andreas Theuerl: Im Klinikum Am Urban erhalten alle, die an Heiligabend Dienst haben, von der Seelsorge als Weihnachtsgabe einen „Bunten Teller“ überreicht. Weihnachtliche Bläsermusik erklingt in der vorweihnachtlichen Adventszeit. Schließlich verteilen wir Seelsorger*innen Karten mit Weihnachtsmotiven als „Mutmacher und Hoffnungsspender“, in diesem Jahr u.a. mit einem kurzen Text von Hannah Arendt: „Dass man in der Welt Vertrauen haben und dass man für die Welt hoffen darf, ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten: Uns ist ein Kind geboren.

Welche Begebenheiten zu Weihnachten im Krankenhaus der zurückliegenden Jahre sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?

Andreas Theuerl: Neben intensiven Begleitungen sowie Gottesdiensten sind mir besonders in Erinnerung die Jahre, als ich mit einer evangelischen Kollegin im musikalischen Duett (Posaune und Trompete) über die einzelnen Stationen zog und weihnachtliche Instrumentalmusik darbot. Musik ist fast immer etwas, womit man Menschen erreicht, was Herzen öffnet und anrührt.

Anne Heimendahl: Ich möchte an dieser Stelle eine Kollegin mit ihrem schönsten Erlebnis zitieren: Mein schönstes Weihnachts-Krankenhaus-Seelsorge-Erlebnis hatte ich vergangenes Jahr, als nach Heiligabend plötzlich das Jesuskind aus der Krippe verschwunden war. Die Krippe war am Morgen des 25. Dezember einfach leer. Ich legte zuerst einen kleinen Zettel in die Krippe: Wo ist Jesus hin? Und hängte dann einen größeren Zettel in den Schaukasten mit den Worten: Wer den kleinen Jesus mitgenommen hat, möge ihn zurückbringen. Das Ereignis führte zu vielen netten Gesprächen mit den Mitarbeitenden. Alle rätselten: Wo kann er nur hingekommen sein? Einer der Küchenmitarbeitenden sagte schließlich nachdenklich: Den hat wohl jemand gebraucht. Und ich dachte: Ja, und wie gut, dass Jesus auf diese Weise hinaus geht in die Welt, wo er gebraucht wird.