Mit einem Vortrag des Greifswalder Oberbürgermeisters wurde in Vorpommern das Gedenkjahr „Otto 900“ eröffnet. Otto von Bambergs erste Pommern-Missionsreise stößt über Kirchen- und Landesgrenzen hinweg auf Interesse.
Was bewegt einen hoch angesehenen Bischof, sich im Alter von 64 Jahren auf den Weg zu machen, Pommern zu missionieren? Ist es Abenteuerlust? Oder sucht er eine neue Herausforderung? „Man kennt das ja von Männern zwischen 50 und 60.“ Stefan Fassbinder, seit 2015 Oberbürgermeister der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, denkt laut nach, wie aus Bischof Otto von Bamberg vor 900 Jahren der „Apostel der Pommern“ wurde. So nannte man ihn bereits kurz nach seinem Tod am 30. Juni 1139 im Totenbuch auf dem Bamberger Michelsberg. Heiliggesprochen wurde er in der damaligen Rekordzeit von 50 Jahren. Was wiederum bewegt den studierten Archäologen, Historiker und ehemaligen wissenschaftlichen Mitarbeiter am Pommerschen Landesmuseum in Greifswald, zum Auftakt von „Otto 900“ zu sprechen? Er ist sich der Herausforderung jedenfalls bewusst und hadert ein wenig mit seiner Entscheidung, indem er sämtliche im Raum anwesenden Fachleute zum Thema persönlich begrüßt und einlädt, das Referat zu übernehmen. Allen voran darf sich Professor Thomas K. Kuhn, Kirchenhistoriker an der Theologischen Fakultät der Uni Greifswald, gemeint fühlen; er hatte die Begrüßung übernommen. „Natürlich habe ich die Zusage bereut, acht Jahre habe ich mich nicht mehr mit dem Thema beschäftigt“, klagt Fassbinder, bevor er sich doch an seine Zusage hält. Als ginge es um Schadensbegrenzung, korrigiert Stefan Fassbinder den angekündigten Titel seines Vortrags „Vor 900 Jahren: Ein Bischof mit Mission – Otto von Bamberg in Pommern“ auf „Otto für Anfänger“, wobei auch Fortgeschrittene im Anschluss ungefragt zu Protokoll geben, einiges gelernt zu haben. Im Jahr 2024 steht Otto in Vorpommern nicht im Fokus, was aber vor allem mit Friedrich zu tun hat, Caspar David Friedrich. Der 250. Geburtstag des gebürtigen Greifswalders schlägt den 900. Jahrestag der ersten Missionsreise von Bischof Otto in der Wahrnehmung deutlich. Für Vorpommern ist das auch die richtige Reihenfolge, denn die erste Missionsreise Ottos im Jahr 1124/25 galt dem Teil Pommerns östlich der Oder; er kam bis nach Stettin, wo die heutige Peter-und-Paul- Kirche auf eine erste Gründung durch ihn zurückgeht. Fassbinder zitiert aus posthum entstandenen Lebensbeschreibungen Ottos, wonach ein gewisser Mönch Bernhard diesen empfohlen habe, nachdem sein eigener Versuch der Christianisierung 1121 gescheitert war. Woran es lag? Bernhard trat schlicht und bescheiden, beinahe ärmlich auf, das beeindruckte die Slawen nicht. Fassbinder hinterfragt auch diese Quelle auf ihren Wahrheitsgehalt; ob es diesen Mönch Bernhard überhaupt gab, könne man quellenkritisch nicht mit Sicherheit sagen.
Die Überlegenheit des christlichen Gottes demonstrieren
Was aber plausibel ist: Otto verfolgte eine andere Strategie; er präsentierte das Christentum als eine mächtige Religion. Er wollte beweisen, dass der christliche Gott stärker ist als die Götter der Slawen. Er zog daher mit seinem Tross aus Klerikern und bewaffneten Soldaten in prächtiger Kleidung über Land, gründete Kirchen, predigte, taufte und ließ die Kultstätten der Slawen zerstören. Er prangerte die Tötung neugeborener Mädchen und Wahrsagerei an, kämpfte gegen die Polygamie. Als ihre Götter nicht eingriffen, beteiligten sich die Slawen selbst an der Zerstörung ihrer Heiligtümer. Was Fassbinder auch wichtig ist: Eroberung und Missionierung, Politik und Religion gingen Hand in Hand. Erst wenige Jahre vor Otto war das bislang unabhängige Hinterpommern erobert worden. Der weiße Fleck auf der Landkarte, das damals westlichste nicht-christianisierte Gebiet sollte weichen. 1128 führte Otto seine zweite Reise mit Unterstützung des deutschen Königs und deutscher Fürsten erneut nach Pommern, diesmal von Westen her! Als er in Demmin ankam, war er fast 70 Jahre alt. Belegt ist, dass am Pfingstsonntag des Jahres 1128 auf Usedom die Annahme des Christentums beschlossen wurde. Um die tatsächliche Durchsetzung zu beschleunigen, stellte Otto strenge Regeln auf. So durften beispielsweise die Kinder von Getauften nicht mit denen von Nicht-Getauften spielen. Gleichzeitig betonte Otto in der Anwendung der Regeln christliche Milde und Gnade. Auch wenn die Erzählung vom Mönch Bernhard nicht zu belegen ist, Otto hatte sich als Bischof von Bamberg nicht nur selbst empfohlen, er gehörte – so Fassbinder – zur „Führungselite seiner Zeit“. Um 1060 geboren aus dem Stamm der Edelfreien, handelte er fast auf Augenhöhe mit Königen und Kaisern. 1091 wurde er als „Kanzler“ an den Hof Kaiser Heinrichs IV. berufen und war dort so etwas wie der „Chef der Verwaltung, also keinesfalls zu vergleichen mit einem heutigen Bundeskanzler“. Unter anderem leitete er den Dombau zu Speyer. Außerdem kannte es sich aus: 1088 war er Kaplan am Hof des polnischen Herzogs Władysław I. gewesen und hatte dort die slawische Sprache gelernt. Bürgermeister Fassbinder kommt auch auf den Investiturstreit zu sprechen, auf das lange ungeklärte und immer wieder umstrittene Verhältnis von Kaiser und Papst, von weltlicher und geistlicher Herrschaft. Das ist nicht nur deshalb relevant, weil Otto selbst versucht hatte, auf europäischer Ebene zu vermitteln. Kaiser Heinrich IV. war schließlich derjenige mit dem sprichwörtlich gewordenen Gang nach Canossa.
Was Otto den Slawen tatsächlich gepredigt hat, ist nicht überliefert
In der Person und den Ämtern Ottos selbst wird das Verhältnis von Staat und Kirche, von Politik und Religion manifest. Als Bischof von Bamberg war er weit mehr als das geistliche Oberhaupt des Bistums Bamberg, genauso wichtig für seine Amtsführung war es, territoriale Ansprüche des Hochstifts Bamberg zu sichern, weshalb es nicht verwundert, dass Klöster auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Burgen hatten und weit jenseits der Grenzen des heutigen Erzbistums Bamberg liegen. Ein Beispiel ist das Kloster Arnoldstein in Kärnten. 1128, nach Beendigung seiner Pommernmission, war Otto noch zehn Jahre Bischof von Bamberg, insgesamt also 37 Jahre, er besuchte auch weiterhin die Reichstage. Das – so Fassbinder – ist historisch gut belegt. Was allerdings auffällt mit Blick auf die Quellen: Nicht überliefert ist, was Otto den Slawen und den Bambergern tatsächlich gepredigt hat. Vorpommern läuft sich nach dem gelungenen Auftakt zu „Otto 900“ so langsam warm für das Jahr 2028. Eine Ausstellung soll es geben, nach Möglichkeit eine Landesausstellung, damit auch die Nachbarn in Mecklenburg etwas lernen. Die Zeit bis dahin will man für die wissenschaftliche Vorbereitung nutzen. Gleichzeitig gibt es erste Initiativen und Aktivitäten in Vorpommern, die auf der Seite www. otto900.de bald versammelt gezeigt werden sollen. Das Bibelzentrum in Barth hat einen Otto- Koffer hergestellt für Schule und Religionsunterricht.
Groß gefeiert wird Otto in Vorpommern erst in vier Jahren
Und außerdem will man mit den polnischen Nachbarn in „Hinterpommern“ schon in diesem Jahr feiern. Angekündigt ist ein Festgottesdienst in Stettin am 11. Juni, zu dem auch der emeritierte Nachfolger Ottos, Erzbischof Ludwig Schick aus Bamberg zugesagt hat. Für Vorpommern koordiniert der Referent für die Hochschulpastoral, Gregor Ploch, die weiteren Vorbereitungen und Aktivitäten. Der Katholik ist promovierter Kirchenhistoriker. Ob Otto ein katholischer oder evangelischer Heiliger ist, muss in Greifswald offen bleiben. Das Interesse scheint weit über die Grenzen der jeweiligen Kirchen hinauszugehen, wofür der Vortrag des Bürgermeisters ein eindeutiges Indiz ist. Bei der Begegnung im Anschluss – auf Einladung der neugegründeten Pfarrei St. Otto – konnte Propst Frank Hofmann nicht nur den evangelischen Altbischof Abromeit begrüßen. Und auch als Patron für die Pfarrei hat er Otto nicht exklusiv. Otto heißt auch die kleine Kirche der Selbständigen Evangelisch- Lutherischen-Kirche in Greifswald.