Mehr Jazz, weniger Worte

In fast völlige Dunkelheit getaucht: Jesuitenpater Jan Korditschke. Foto: Walter Plümpe

Mit „Jazz & Silence“ hat in St. Canisius ein neues Gottesdienstformat Premiere gefeiert. Der Verzicht auf manches Bekannte soll den Teilnehmern helfen, ihren Blick auf das Wesentliche zu richten.

Eine fast komplett dunkle Kirche, nur der Altarraum von Kerzen, Teelichtern und zwei violetten Strahlern beinahe mystisch beleuchtet – schon die optische Aufmachung der Kirche St. Canisius in Berlin-Charlottenburg verdeutlichte: Es ist keine normale Eucharistiefeier. Jesuitenpater Jan Korditschke und Elaine Rudolphi, Seelsorgerin in der Pfarrei Christi Auferstehung, hatten zu einem besonderen Gottesdienst eingeladen: „Jazz & Silence – die etwas andere Eucharistiefeier“.

Wo sonst ein vergoldetes Quadrat die Wand verziert, wo sonst Kreuz und Kerzenständer, Taufbecken und Tabernakel-Stele die Blicke auf sich ziehen, war diesmal alles von weißen Leinen verhüllt. Sogar die Kreuzwegstationen an den Wänden blieben verborgen. Es war die Einstimmung auf den „Start einer neuartigen Eucharistiefeier“, wie es im Monatsbrief der Pfarrei angekündigt war. Auch auf Plakaten war geworben worden für „gute Musik, Denkanstöße und viel Stille für eigene Gedanken“ als guter Start in die Arbeitswoche.

Jazz-Melodien ermöglichen Fallenlassen

Stille, das wurde früh klar, war dann das vorherrschende Element bei der Eucharistiefeier. Statt der gewohnten Orgelklänge ertönten ruhige Jazz-Melodien, meist mit Saxophon, Trompete und Keyboard. Bereits vor Beginn der Abendmesse wurden die Besucher mit ruhigen Klängen aus dem Lautsprecher eingestimmt; die vorgesehenen studentischen Musiker waren kurzfristig verhindert. Neuartig – oder, wie es der Titel ankündigte: „etwas anders“ – war auch, dass es deutlich weniger Text, viel mehr Stille und eben Jazz gab.

Das Gestaltungskonzept erarbeitet hat Elaine Rudolphi, die ein ähnliches Format schon 2006 beim Katholikentag in Saarbrücken miterlebt hat. „Jazz ist für mich ein sehr variabler Musikstil, der es Menschen erlaubt, Impulse nachklingen und sich in die Musik fallen zu lassen“, erklärte sie, warum ihre Wahl gerade auf Jazz gefallen war. Mit dem Gottesdienst wollte sie in der neuen Pfarrei Christi Himmelfahrt „einen ersten Versuchsballon“ steigen lassen.

Ihr Ziel: „einmal die Menschen in den Blick nehmen, die sich nach mehr Stille, mehr ‚Me-Time‘ sehnen, also Zeit für sich selbst“. Kein Gotteslob-Buch, kein Liedblatt, nicht einmal das Herumreichen des Klingelbeutels sollte die Mitfeiernden ablenken. Für eine meditative Stimmung sorgte auch Jesuitenpater Korditschke, der die Mitfeiernden mit ruhiger Stimme ermunterte, sich selbst „bewusst wahrzunehmen, auf den Atem zu achten, sich mit den Füßen zu erden“. Auf den Einzug mit den fünf Ministrantinnen hatte er verzichtet, um mögliche Ablenkung und Unruhe auszuschalten. So konnten die Anwesenden Jan Korditschkes Impulse in Stille wirken lassen und zum Nachdenken kommen: Wo erkenne ich Gottes Gegenwart bei den Menschen? Welches Erlebnis hat mich in der letzten Woche besonders berührt? Wo fiel es mir schwer, Gottes Stimme zu hören? Wofür möchte ich Gott danken?

In kurzen Sätzen und mit dafür umso längeren Pausen trug die Theologin Elaine Rudolphi ihre Predigt vor. Fragen nach Gottes Stimme im eigenen Leben, Fragen nach seinen Spuren in den Geheimnissen des Lebens stellte sie behutsam in den dunklen Kirchenraum.

Das Wesentliche stärker in den Blick nehmen

Ruth Simon (60), Mitarbeiterin in einer sozialen Einrichtung und „Stammgast“ in St. Canisius, war nach dem Gottesdienst begeistert von den ausgewählten „wunderbaren Stücken“. Als Jazz-Freundin fand sie die Kombination von Jazz und Meditation gelungen. „Jazz bringt eine andere Farbe und Leichtigkeit in den Gottesdienst, etwas Schwebendes, das Bilder in mir freisetzt“, sagte sie. Die „tiefen Texte, ohne Spuren von Klerikalismus vorgetragen“ habe sie dankend angenommen.

„Durch den Verzicht auf Worte und den Einsatz der Stille habe ich das Wesentliche im Gottesdienst klarer als sonst gesehen“, erklärte Susanne Jensen (59). Die Beschränkung der Wortbeiträge auf Kernsätze und die Möglichkeit zum eigenen Meditieren wertete sie als „großen Gewinn“. Die Sozialarbeiterin für Menschen mit Behinderung in St. Ludwig freut sich auf die Fortsetzung im Juni.

Auch Pater Jan Korditschke, der die Eucharistiefeier leitete, spürte die „hohe Konzentration“ seiner „ohnehin aufgeschlossenen und zugewandten Gemeinde“. „Das macht es mir als Zelebranten leichter“, sagte der Jesuit. Die Reduzierung auf wenige Worte, das Ausschalten möglicher Störfaktoren, das Hören auf die Musik empfand er als wohltuend. „Das Spektrum an spirituellen Bedürfnissen und ästhetischen Glaubensstilen ist breiter als wir es uns oft vorstellen können“, sagte Elaine Rudolphi.

„Verzicht nicht als ein Weniger, sondern als ein Mehr zu verstehen“: Auf diese Möglichkeit hat auch Erzbischof Heiner Koch in seinem Hirtenwort zur Fastenzeit hingewiesen. „Jazz & Silence“, die neuartige Eucharistiefeier mit mehr Stille und Musik als Worten, könnte eine liturgische Umsetzung dieses Wunsches sein.