„Alle sind gleich wichtig“ Propst Hoffmann über die Abschlussvisitation der Pfarrei St. Otto und neue Herausforderungen

Propst Frank Hoffmann, Leitender Pfarrer der neuen Pfarrei St. Otto Usedom-Anklam-Greifswald, hat vier Tage Visitation hinter und eine Woche Exerzitien in Assisi vor sich. Zwischendurch nimmt er sich Zeit, mir von der zurückliegenden Visitation zu erzählen und einen Blick hinter die Kulissen der Pfarrei in Vorpommern zu gewähren.

Im September hatten Sie einen viertägigen Besuch von Erzbischof Koch und Markus Weber, dem Leiter des Prozesses „Wo Glauben Raum gewinnt“, in Ihrer neuen Pfarrei. Sie haben die Abschluss-Visitation nach Pfarreigründung hinter sich …

… na ganz vorbei ist sie noch nicht. Ich würde sagen, zwei von drei Teilen sind vorüber – nämlich die Vorbereitung und die Durchführung. Aber eine Auswertung steht aus meiner Sicht noch bevor.

Die Auswertung mit Ihrem Team?

Nein, eher erwarte ich noch eine Auswertung, einen ausführlichen Visitationsbericht vonseiten des Ordinariats. Es war ein enormer Aufwand, diese Visitation vorzubereiten, Termine festzulegen, die vielen Formulare auszufüllen usw. Dann waren vier komplette Tage mit dem Erzbischof in unserer Pfarrei unterwegs. Dafür braucht es dann auch eine ordentliche Reflexion, finde ich. Das gehört für mich zu einer Visitationskultur dazu. Und auch für die Gremien hier ist das wichtig, sonst fühlt es sich sehr vergänglich an.

Sie sind auch Systemischer Berater. Was haben Sie durch diese Brille gesehen?

Als Systemischer Berater frage ich mich bei vielen Dingen zunächst einmal: Wozu ist es gut? Ich sehe ein, wenn so ein komplexes System wie der Besuch der neuen Pfarrei gründlich vorbereitet wird, sonst ist das nur ein schöner Schaufensterbummel. Aber mir stellt sich schon die Frage, ob man vorher wirklich alles so detailliert abfragen muss, das kostet immens viel Zeit auf beiden Seiten. Wäre es nicht auch möglich, auf ein paar Fragen vorab zu verzichten, und diesen stattdessen vor Ort Zeit einzuräumen?

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Ein paar Daten und Fakten müssen standardmäßig abgefragt werden, das ist klar. Aber wie wäre es, wenn dann eher offene Fragen formuliert würden, die man länger ausführen kann im Sinne von: Wo sehen Sie besonders Gelungenes, Probleme, Herausforderungen in Ihrer neuen Pfarrei? Wo wir als Pastoralteam einfach einen längeren Text schreiben, auf dessen Grundlage dann die Gespräche während der Visitation geführt werden können. Raum dafür könnte man schaffen und das Ganze gewinnt noch ein Stück an Qualität.

Wenn es als Abschlussvisitation gedacht war, hätte ich mir gewünscht, dass die Gespräche noch einen tieferen Bezug zum Pastoralen Prozess genommen hätten. Das Pastoralkonzept beispielsweise war überhaupt kein Thema. Es gab viele wirklich gute Termine während der Visitation, der Bischof war sehr konzentriert, die Fragen auf den Punkt. Das war sehr gut vorbereitet! Es fehlte mir aber ein vertiefendes Element. Vielleicht ein von der Kirchlichen Organisationsberatung (KOB) begleiteter Klausurtag mit einer differenzierten Stärken- und Schwächenanalyse. Ein Tag, bei dem auf die Herausforderungen und Probleme vor Ort dann auch konstruktiv eingegangen werden kann.

Die Visitation – Kontrollbesuch oder Pastoraler Besuch? Welchen Eindruck hatten Sie?

Was ich im Vorhinein gehört und dann auch während des Besuchs gesehen habe, versteht der Bischof das eindeutig als eine pastorale Reise. Die Personalgespräche waren alle sehr wertschätzend und konzentriert, es gab sehr viele sehr gute Gespräche. Und wir haben versucht, einen Rahmen zu schaffen, der dem pastoralen Gedanken und dem Austausch auch auf leichte Art genügend Raum gibt. So haben wir bspw. für jeden Abend nach den Gottesdiensten Begegnungen mit unterschiedlichen Gruppen geplant – von Studierenden über Kirchenvorstand und Pfarreirat bis hin zu einem Ehrenamtsdank in Anklam. Immer im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens, sodass der Bischof dann auch von Tisch zu Tisch gehen und mit den unterschiedlichsten Pfarreimitgliedern locker ins Gespräch kommen konnte. Das war eine gute Voraussetzung für die Begegnungen auf beiden Seiten. Und ich halte es für wesentlich, dass man einen guten Rahmen schafft für so eine Visitation.

Wer braucht eigentlich eine Visitation – Sie oder der Bischof? Hat Ihnen die Visitation etwas gebracht?

Ich bin ganz unverschämt: Ich war schon vorher der Ansicht, dass wir hier den Prozess Wo Glauben Raum gewinnt mit einer wirklich hohen Qualität durchgeführt haben. Und die Visitation hat mir das noch einmal konzentriert vor Augen geführt. Ich hatte den Eindruck, dass auch der Bischof in den Gesprächen mit den Gremien sehr viel davon mitbekommen hat.

Das Beste war für mich in den Begegnungen noch einmal gebündelt zu erleben, was im Alltag auch da ist: dass die Kommunikation hier in unserer Pfarrei einfach wirklich gut funktioniert. Dass wir auf Augenhöhe miteinander reden, dass Verantwortung geteilt wird, dass sehr viele unterschiedliche Leute gemeinsam gut an einer Sache arbeiten können. Das ist, was mir in der Entwicklungsphase und nach der Gründung wirklich auch am wichtigsten war: dass Kommunikation gut funktioniert.

Auf den Punkt gebracht hat es an einem Abend Ulrich Höckner, der hier im Pfarrei- und Gemeinderat ist: „Wir in Anklam haben vor der Gründung der Pfarrei gedacht, wir würden hinten runter fallen. Aber es ist genau das Gegenteil passiert. Wir haben erlebt, dass es sich bei uns belebt hat, dass bei uns Veranstaltung stattfinden.“ Es gibt kein oben oder unten, hier sind alle gleich wichtig und wir reden auf Augenhöhe miteinander!

Kommunikation ist also das A und O innerhalb der Pfarrei. Worauf kommt es Ihrer Meinung nach noch an?

Flexibilität ist auch ein großes Stichwort. Es ist nichts einfach so fest. Und nicht, weil wir den Pastoralen Prozess hinter uns haben, bleibt jetzt alles in Stein gemeißelt. Wir haben z.B. jedes Jahr verschiedene Klausurtage mit den Gremien, in denen wir das Vergangene reflektieren und schauen, was wir für das kommende Jahr verändern möchten.

Jedes Jahr haben wir also extra eine Zeit reserviert, die auch angenehm gestalten ist, um die Beweglichkeit zu behalten, die wir brauchen. Es geht nichts ohne Veränderung, Veränderung ist normal. Ein ganz banales Beispiel: Es gibt drei Priester in der Pfarrei und alle rotieren regelmäßig mit den Gottesdiensten, da gibt es keine feste Zuordnung. Aber klar ist: Flexibilität fällt nicht vom Himmel, Grundlage dafür ist unbedingt eine gut etablierte Kommunikationskultur.

Was sind aktuelle Pastorale Schwerpunkte in Ihrer Pfarrei?

Wir haben drei Felder: Ganz wichtig und übergreifend: Wie geht es jetzt nach Corona weiter? Wie kriegen wir das wieder in die Gänge? Das ist momentan die größte Herausforderung, vor der wir stehen.
Dann die Kinder- und Familienpastoral: In Zinnowitz gibt es einmal pro Monat sonntags den Familiengottesdienst mit gemeinsamen Mittagessen. Anschließend findet der Religionsunterricht für die Kinder statt, parallel gibt es Impulse für die Eltern. Das funktioniert – da kommen inzwischen 60 Kinder vor allem aus den Gemeinden Zinnowitz/Heringsdorf und Anklam/Wolgast. Oder das Erlebbarmachen von Kirche im Rahmen des Erstkommunionunterrichts als Projektwoche in Zinnowitz für die gesamte Familie. Sodass die Erstkommunion nicht einfach nur ein Kurzzeit-Projekt in der Familie ist, sondern zu „Miteinander Kirche leben“ wird – so haben die Familie die Möglichkeit zu erleben, dass Kirche etwas Lebendiges ist.

Ein weiteres wichtiges Feld, in dem sich etwas entwickeln muss, ist die Jugendpastoral: Wir erleben überall, dass die klassische Jugendarbeit nicht mehr funktioniert. Wir haben schon ein paar gute Ansätze: in Greifswald gibt es einen Stamm der Pfadfinder, in der Ministrantenpastoral gehen wir neue Wege, wir möchten den Malteser-Gemeindesanitätsdienst ausbauen. Aktuell probieren wir noch etwas Neues und führen Gespräche dem Diözesanverband der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ), um die Kinder- und Jugendarbeit für die Pfarrei als Stadtgruppe in Anklam aufzubauen, ohne dass wir hier eine eigene Schule haben.

Da haben Sie ganz schön viel vor! Nach dem Prozess ist also vor …?

… dem normalen Alltag und der beinhaltet so viel, dass das schon an eine große Herausforderung grenzt. Alles auf einmal geht nicht, jede und jeder tut was sie oder er kann und so gut sie können. Und wenn wir das jedem „unterstellen“ und Hand in Hand arbeiten, auf Augenhöhe miteinander sprechen, achtsam miteinander umgehen und für Neues offen sind – das haben wir aus dem Prozess „Wo Glauben Raum gewinnt“ gelernt – dann kann viel Neues und Gutes entstehen. Im je eigenen Tempo.

Visitationsleitfaden online: www.erzbistumberlin.de/visitationen