Die Bindekraft der heiligen Hildegard Patronatsfest der Pfarrei St. Hildegard von Bingen Marzahn-Hellersdorf

Foto: Christian Tegeler

Das Wetter war durchwachsen, gefeiert wurde es trotzdem: das Hildegardfest. Mit einem Festgottesdienst in der Krankenhauskirche im Wuhlgarten, mit Gesprächen über Chancen und Risiken der Pfarreigründung beim anschießenden Fest der Begegnung, mit Info-Ständen, Bogenschießen und Hüpfburg sowie einem Konzert des Gospelchors „Singspiration“.

„Ich brauche erstmal einen Kaffee.“ Der Mann am Stehtisch wärmt die Hände am Thermobecher und hört den Liedern der Familie Renkl aus Biesdorf zu, die ein Open-air-Konzert geben. Die Frage, ob die heilige Hildegard für die Pfarrei Sankt Hildegard Bindekraft habe, beantwortet er mit Ja: „Weil sie trotz aller Steine, die ihr in den Weg gelegt wurden, sich selbst und ihrer Berufung treu geblieben ist. Sie hat Auseinandersetzungen ausgehalten, sich nicht frustriert oder wütend zurückgezogen. Das sollten wir alle von ihr lernen.“

Im Gottesdienst sprach Schwester Beate Glania von den Missionsärztlichen Schwestern über das Feuer des Geistes Gottes, das in der Heiligen brannte, und stellte die Frage, ob wir heute, 800 Jahre später, „Feuer und Flamme für Gottes Reich“ seien. „Wir brauchen kluge Frauen und Männer in unseren Gemeinden, in unserer Pfarrei, gerade jetzt in der ziemlich desaströsen Lage der Katholischen Kirche. Kirche und Welt brauchen Menschen, die für Gott brennen.“ Ihre Predigt schloss sie mit der Ermutigung, der Funke des Heiligen Geistes würde sich durchsetzen, „denn Gott löscht den brennenden Docht nicht aus.“

„Schöne Worte, aber jetzt muss man auch mal mutig werden und was verändern“, sagt eine Frau ungeduldig. Eine andere ist geduldiger: „Das Miteinander braucht doch Zeit zum Wachsen.“ Sie hat beim Festhochamt im Chor  mitgesungen. „Da hat sich jeder Einzelne mit seiner Stimme, also seinem Talent, in das Ganze eingebracht. Das Ergebnis ließ sich doch hören.“

Pfarreikirchenmusiker Sebastian Sommer gibt das Lob für die musikalische Gestaltung an die Mitwirkenden weiter. Unter seiner Leitung sangen der Kirchenchor der Gemeinde Zum Guten Hirten und die Ökumenische Kantorei Marzahn, begleitet von den Karlshorster Bläsern sowie Markus Dubsky an der Orgel. Es erklang eine Messe des französischen Komponisten Léo Delibes (1836-1891). Allein das gewaltige „Gloria“ zog die Blicke vieler hoch in den Sternenhimmel der Apsis. Der Kirchenmusiker schmunzelt: „Diese Delibes-Messe hat etwas Opernhaftes.“

Reden hilft!

Zwei Frauen, Mutter und Tochter, sprechen über die vier Gemeinden unter dem Dach der Pfarrei: „Wenn sich alle etwas Mühe geben und vor allem miteinander reden, wird das mit dem Zusammenwachsen schon werden“, meint die Tochter. Ein Mann, so um die 40, hat den beiden zugehört: „Stimmt, reden hilft. Aber bitte ohne zu beleidigen und Leute mit anderer Meinung auszugrenzen, wie das in meiner Gemeinde leider immer noch passiert.“ Man solle in Diskussionen immer mal überlegen, ob der andere vielleicht auch Recht haben könnte.

Am Stand des Malteser Hospizdienstes steht ein sportlicher Mittfünfziger und liest die Sehnsüchte und Wünsche, die auf bunte Zettel geschrieben wurden. Er hätte auch ein Papierherz falten können, aber das wollte er nicht. Dann schon eher aufschreiben, welche Sehnsucht in ihm brennt. Ob sich ein „Wir-Gefühl“ in der Pfarrei entwickelt? Er schüttelt den Kopf: „Weil ein Verwaltungsakt so ein Gefühl doch gar nicht auslösen kann. Meine Glaubensheimat ist dort, wo meine ‚Kirche im Dorf‘ steht, wo ich den Pfarrer und viele Gemeindemitglieder kenne, mit den Traditionen, Besonderheiten und ja, auch mit den Macken der Gemeinde vertraut bin. So ein gemeinsames Fest ist wichtig, herzlich Danke allen, die es gestemmt haben. Aber dass wir nun alle Hildegard sind - nee.“

Am Kuchenbuffet überlegt eine elegant gekleidete ältere Frau, ob sie Mohntorte oder Pflaumenkuchen nimmt. Auf Veränderungen in ihrer Gemeinde infolge der Pfarreigründung angesprochen, sagt sie: „Ich bin erleichtert, dass sich bisher kaum was verändert hat. Unser Pfarrer ist weiter unser Pfarrer, auch wenn er jetzt Pfarrvikar heißt. Die Gottesdienstzeiten sind geblieben, die Gruppen treffen sich wieder wie vor Corona. Das alles zusammen bedeutet Heimat für mich. Übrigens auch für meinen Sohn und meine Enkel.“  
Mit einer Bratwurst in der Hand klagt eine junge Frau über die „suboptimale“ Kommunikation: „Seit Januar sind wir nun schon eine Pfarrei. Und die Kommunikation zwischen Gremien und Gemeinden, zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, klappt immer noch nicht. In meiner Gemeinde zum Beispiel wurde über das Fest heute lediglich informiert und um Kuchenspenden und Mithilfe gebeten. Herzlich geht anders.“

Ihre Freundin stimmt ihr zu und bringt die Eucharistie ist Gespräch: „Die Eucharistie ist doch die Quelle, aus der wir Kraft schöpfen. Um dann mutig wie Hildegard in unser Umfeld zu gehen und Segen zu bringen, wie es im Pastoralkonzept steht. Feste wie heute sind super. Meine Kinder toben sich auf der Hüpfburg aus, ich habe zwei, drei neue Leute kennengelernt. Aber der zentrale Ort der Begegnung ist doch die Feier der Eucharistie, oder?“ Und fügt seufzend hinzu: „Dass immer weniger Familien sonntags in der Kirche sind, macht mich traurig.“

Eine ehemalige Krankenhausseelsorgerin sieht diese Verbindung von Gottesdienst und Menschendienst genauso. Deshalb findet sie es „schade, dass heute so wenige Orte kirchlichen Lebens präsent sind. Wo sind zum Beispiel die Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin oder das Priesterseminar?“

Für die Pfarrei und ihre Gemeinden

Aber der Martinsverein, korrekt St. Martin e.V., ist tatkräftig dabei. Ein Mann vom Vorstand wird nicht müde zu erklären, dass der Verein kein Förderverein der Gemeinde St. Martin ist, sondern auch außerhalb kirchlicher Strukturen caritativ tätig sei. „Und natürlich genauso für die Pfarrei und ihre Gemeinden“.
Die Mitarbeiterinnen der Caritas-Sozialstation Marzahn müssen gar nicht viel werben, sie fallen durch ihre knallroten Steppwesten mit dem Caritas-Logo auf und beraten in Fragen wie dieser: „Mein Mann hat Demenz; ich schaff’s nicht mehr mit der Betreuung. Können Sie mir helfen?“ 

In gebührendem Sicherheitsabstand üben sich Mutige im Bogenschießen. Als eine Pfeilspitze abbricht, wird diskutiert, ob Holz- oder Metallpfeile besser seien. Ein Junge, etwa 14 Jahre alt, votiert wegen der Stabilität für Metall, ein anderer für Holz, weil das „historisch ist“. Auf der Wiese nebenan wackelt die Hüpfburg.

Am Nachmittag bleiben immer wieder Spaziergänger oder Patienten des Unfallkrankenhauses Berlin stehen und freuen sich über die Einladung zu Kaffee und Kuchen. „Kostet nichts, Sie können aber eine Spende geben.“ Ein Familienvater erzählt, er könne mit Kirche nichts mehr anfangen, sei schon lange ausgetreten. Als er nach dem Nutzen der Zusammenlegung von vier Gemeinden fragt, muss sein Gesprächspartner erstmal kurz nachdenken.

Zum Abschluss des Patronatsfestes gab der Gospelchor „Singspiration“ ein Konzert in der Kirche. Chorleiter Marc-Philipp Margraf animierte die Zuhörer zum Mitsingen, und sie ließen sich mitreißen. „Man merkt, dass ihr Spaß am Gospelgesang habt“, hieß eine Rückmeldung. Und dass das Konzert „leider viel zu kurz“ gewesen wäre.

Pfarrer Martin Benning hatte zu Beginn des Festhochamtes gesagt, die heilige Hildegard von Bingen sei eine gute Pfarreipatronin. „Sie war rebellisch, unangepasst, kritisch. Zeitlebens auf der Suche nach den großen Zusammenhängen und zugleich tief vereint mit Gott. Lassen wir uns inspirieren von ihrer Glaubenskraft!“