Heilsam wie Hildegard

Über zwei Stunden dauerte der Gründungs-Gottesdienst in der Pfarrkirche Von der Verklärung des Herrn in Berlin-Marzahn. Foto: Frank Vetter

Zur Gründung der Pfarrei St. Hildegard von Bingen Marzahn-Hellersdorf fand am 24. April ein Festgottesdienst mit Erzbischof Heiner Koch in Marzahn statt. Seit dem 1. Januar gehen die Gemeinden in Biesdorf, Friedrichsfelde/Karlshorst, Kaulsdorf und Marzahn in der neuen Pfarrei auf.

Am Beginn des Gottesdienstes wurde erst einmal gepuzzelt: Vertreter der Gemeinden stellten ihre Gemeinde vor. Als die vier Puzzleteile zusammengesetzt waren, wurde die Tafel umgedreht. Die Rückseite zeigte das Siegel der neuen Pfarrei - mit einer kleinen Überraschung: Auf dem Siegel blickt die heilige Hildegard freundlich-konzentriert auf ihre Schreibarbeit. Auf dem Schaubild lacht sie fröhlich. Der lange, teils holprige Weg bis zur Gründung der Pfarrei ist geschafft.

In seiner Predigt nannte der Erzbischof Konsequenzen dieses Patronats. Die Kirchenlehrerin Hildegard sei zeitlebens lernbereit gewesen. „Das heißt: Verlassen Sie die ‚Blase‘, lernen Sie zusammen mit den Menschen, die anders glauben als Sie.“ Als Mystikerin habe sie in tiefer Verbindung mit Christus gelebt, bereit, niederzuknien. „Leben Sie aus der Feier der Liturgie, aus der Anbetung. Sie sind Gemeinde Jesu Christi, keine Funktionseinheit.“ Hildegard habe das Evangelium verkündet. „Suchen Sie das Gespräch, den gesellschaftlichen Dialog, hören Sie hin, erzählen Sie von Ihrer Hoffnung.“ Auch Heilerin sei die Heilige gewesen. „Gehen Sie zu den an Leib und Seele Verwundeten, leben Sie solidarisch.“

In ihrem Grußwort ermutigte die Bezirksstadträtin für Soziales und stellvertretende Bürgermeisterin des Bezirks Marzahn- Hellersdorf Nadja Zivkovic (CDU), im Sinne der Patronin zu handeln: „Sie war unbequem, hat Forderungen gestellt. Mischen Sie sich ein im sozialen Bereich, in der Jugendarbeit, setzen Sie sich für Chancengerechtigkeit ein wie Hildegard, die ein Kloster für nichtadlige Frauen gegründet hat.“

Auch die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Petra Pau (Die Linke) war zum Festgottesdienst gekommen. Ihr Wahlkreis umfasst die „Dörfer“ Biesdorf, Hellersdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf und Marzahn. Daher habe sie gute Kontakte zu den Gemeinden. Gut gefallen hätten ihr die Gedanken des Erzbischofs zum Vorbild der Patronin: „Lernen, neugierig bleiben, alte Gewissheiten prüfen, helfen und heilen. Ich wünsche mir, dass Sie sich selbstbewusst und ehrlich zu Wort melden, wenn Sie meinen, da laufe etwas in die falsche Richtung.“

„Von der Kirche erwarte ich deutliche Worte“

Manuela Schmidt (Die Linke), Wahlkreisabgeordnete in Marzahn- Hellersdorf und Präsidentin des Humanistischen Verbandes, stimmt ihr zu: „Ich wünsche mir von der Kirche deutliche Worte und pragmatische Lösungen.“ Menschen jedes Glaubens und jeder Weltanschauung brauchten Zuwendung, suchten „Halt im religiösen Glauben oder im humanistischen Glauben“. Sie fände es gut, wenn die Pfarrei Mitglied im Nachbarschaftsnetzwerk würde. „Da werde ich Pfarrer Martin Benning ansprechen.“

Beim Empfang nach dem Gottesdienst wurde über „Chancen und Risiken“ der neuen Pfarrei diskutiert. Marlis Brenneis zum Beispiel freut sich über die „XXL-Pfarrei“: „Ich wollte schon immer, dass nicht jede Gemeinde ihr eigenes Süppchen kocht statt zu gucken, was die Nachbargemeinde macht und was man zusammen tun könnte.“ Thomas Zakrzewski nickt: „Die Schätze der eigenen Gemeinde für alle verfügbar zu machen ist eine Chance, das hat mich schon die Fusion von Friedrichsfelde und Karlshorst gelehrt.“

Schwester Walburga Felsmann ist da skeptisch: „Die Leute sind doch an ihre Gemeinde gewöhnt, da ist ihre Heimat. Deshalb finde ich selbstständige Gemeinden, also die Kirche im Dorf, besser. Nun ist es wie es ist, machen wir also das Beste draus.“

Mit gutem Willen trifft Villenviertel Plattenbau

Auch Carola Meyer sieht manche Hindernisse: „Zum Beispiel, dass es zwei Stadtbezirke, Marzahn- Hellersdorf und Lichtenberg, sind. Oder eine Gemeinde mit der anderen nicht kann oder will. Oder dass das Puzzle sich aus innerstädtischen Bereichen wie Friedrichsfelde und Karlshorst und Stadtrandbereichen wie Kaulsdorf zusammensetzt. Villenviertel trifft Plattenbau. Doch mit gutem Willen schafft man vieles.“

Auch Mario Czaja setzt auf den Blick übern Pfarrgartenzaun. Der CDU-Generalsekretär ist „hier einfaches Gemeindemitglied“. In einer stark beschleunigten Welt sei es wichtig, die Ursprungsgemeinde mit ihren Ritualen, ihrer Geschichte und den vertrauten Gesichtern als Heimat zu haben. „Aber mal rechts und links zu gucken, wäre gut. Und dann im Gespräch zwei Minuten innehalten und denken, der andere könnte auch Recht haben.“ Besonders wichtig sei ihm, darauf zu achten, dass die Hauptamtlichen nicht „überarbeitet werden“. Die Ehrenamtlichen sollten Unterstützung geben und die Hauptamtlichen sagen, wo sie Unterstützung brauchen. Victoria Malack, Antonia und Phillip Müller sind Ministranten. Oberministrantin Victoria weiß, dass einzelne Ministrantengruppen durch die Corona- Zwangspause geschrumpft sind. „Wir werden gemeindeübergreifend zusammenarbeiten. Ist doch wichtig, dass sich die Kinder und Jugendlichen der Pfarrei kennenlernen. Macht ja auch mehr Spaß in der größeren Gruppe.“ Erzbischof Koch fasste alle Hoffnungen und Bedenken am Ende seiner Predigt so zusammen: „Haben Sie eine gesegnete Zeit mit der heiligen Hildegard!“