BZ-Kolumne

Auch meine Eltern mussten ihre Heimat verlassen

„Mein Vater war ein heimatloser Aramäer“ (Deut 26,5), so beginnt das jüdische Glaubensbekenntnis. „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten! (Mt 2,13) so endet die „Huldigung der Sterndeuter“, auch bekannt als der Besuch der Heiligen Drei Könige.

Die jüdische und auch die christliche Religion sind ohne die Erzählungen von Flucht, Vertreibung und Migration nicht zu verstehen, sie gehören wesentlich dazu. Sie sind nicht nur biblische Erzählungen, wir erleben sie bis heute Sonntag für Sonntag in unseren Gemeinden mitten in Berlin: wir feiern Gottesdienst in mehr als einem Dutzend verschiedenen Sprachen, im Erzbistum Berlin leben Katholiken aus rund 100 verschiedenen Nationen. Dieses Zusammenleben war nie konfliktfrei, in den allermeisten Fällen überwiegt aber die Freude und das gegenseitig Bereichernde.

Natürlich weiß auch ich von Menschen, die hier nicht integriert sind, die nach wie vor kein gutes Deutsch sprechen und sich ihre eigene Welt gebaut haben.
Und ich weiß von Menschen, die die Sehnsucht nach ihrem Zuhause umtreibt, die nur darauf warten, dass sie wieder zurück können in ihre Heimat. Wir wollen sie dabei unterstützen.

Auch meine Eltern mussten ihre Heimat verlassen und ich bin dankbar, dass das Rheinland unsere neue Heimat werden konnte. Auch hier gab es Konflikte, das ist nicht zu verschweigen. Auch meine Eltern hatten sich die Sehnsucht nach Schlesien bewahrt in traditionellen Gerichten, Bräuchen und Gesängen. Ich erschrecke zutiefst, dass diese Migration und ihre Ursachen, der deutsche Vernichtungsfeldzug im Zweiten Weltkrieg, so vollständig in Vergessenheit geraten sind. „Mein Vater war ein heimatloser Aramäer“ heißt es in der Bibel. Das jüdische Glaubensbekenntnis rufe ich all denen in Erinnerung, die von Zwangsausweisung oder Deportation unter der „beschönigenden Tarnvokabel“ „Remigration“ faseln. Heimatlos oder auf der Flucht zu sein, das hat sich niemand ausgesucht.