BZ-Kolumne

Ausstellung über die Spätgotik

Ein junger Mann und eine junge Frauen in einem kahlen, schmucklosen Raum. Der Putz blättert ab, der Mörtel quillt aus den Fugen. Der Mann – mit langem goldblondem Haar und in einem prachtvollen roten Umhang – ist offenbar gerade erst durch die rohe Brettertür eingetreten. Er scheint etwas erzählen zu wollen. Die junge Frau – gleichfalls mit langen blonden Locken, in einem blauen Gewand – wirkt überrascht und blickt von einem Buch auf. Wenn man vor dem Bild steht, meint man, direkt eintreten zu können. Dem jungen Mann im roten Gewand hat der spätgotische Maler Konrad Witz durch riesige Flügel als Engel Gabriel erkennbar gemacht, die junge Frau kann nur die Jungfrau Maria sein; nicht nur wegen eines beeindruckenden goldenen Heiligenscheins. Es geht also um die Verkündigung an Maria, dass sie den Heiland, dass sie Jesus zur Welt bringen soll. Man kann dieses Bild in der Gemäldegalerie bewundern in einer Ausstellung über die Spätgotik.

Ganz selbstverständlich hat der Maler die biblische Szene in seine Gegenwart – um das Jahr 1450 – versetzt. Sie ist – mal von Engelsflügeln und Heiligenschein abgesehen – auf eine Weise realistisch, die damals wie heute beeindruckt und begeistert. Es könnte des Malers eigene Wohnung sein, für Maria und Gabriel könnten Familienmitglieder oder Nachbarn Modell gestanden haben. Es wirkt wie ein Schnappschuss, wie eine besonders gelungene Momentaufnahme und wir sind dabei!

Der Maler holt die biblische Geschichte in seine und in meine gelebte Wirklichkeit hinein. Wenn ich mich betrachtend davorstelle, wird die Verkündigung für mich aktuell und bedeutsam:
Gott wird Mensch, auch heute, nicht nur vor 2000 Jahren oder irgendwann in der Spätgotik.
Überall da, wo ich mich darauf einlasse. Und jetzt auch wieder im Museum, nehmen Sie sich die Zeit, schauen Sie sich die Ausstellung über die Spätgotik in der Gemäldegalerie an – und kommen Sie auf Augenhöhe mit dem Engel Gabriel und mit Maria. Bis zum 5. September haben Sie dazu Gelegenheit.