BZ-Kolumne

„Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ (Röm 11,18).

Wenn der Apostel Paulus mit diesen Worten die Gemeinde in Rom vor Überheblichkeit über die Juden warnt, dann meint er vermutlich auch sich selbst. Der Jude Saulus hatte sich bekanntlich zum Christen Paulus bekehrt. Und es ist ein psychologisch weithin bekannter Vorgang, dass mit der Begeisterung für die neue Überzeugung das frühere Leben plötzlich unter einem negativen Vorzeichen steht.

„Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.“ Das bestimmt bis heute das Verhältnis der Christen zum Judentum. So wie unser Neues Testament auf den Heiligen Schriften der Juden aufbaut, stehen wir – Christen wie Juden – in der gemeinsamen Glaubenstradition von Abraham, Isaak und Jakob, von Mose und den Propheten.

Papst Johannes Paul II. hatte in diesem Sinn die Juden auch „die älteren Brüder“ genannt und im Jahr 2000 für christliche Überheblichkeit und ihre zum Teil fatalen Folgen um Vergebung gebeten.
Leider ist das Thema damit nicht erledigt, weder für uns Christen noch für unsere Gesellschaft im Allgemeinen. Antijudaismus und Antisemitismus vergehen nicht und schon gar nicht dadurch, dass wir wegschauen oder uns wegducken.

Im Gegenteil: Oft muss man genauer hinsehen, um eine geschickt getarnte Judenfeindschaft zu erkennen. Gern auch mit der Floskel garniert: „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“.
Und überall da, wo Antisemitismus erkannt wird, ist Widerspruch Pflicht. Als Christen stehen wir in einer besonderen Verpflichtung, als Christen in Deutschland ohnehin.

Gewiss: Juden und Christen sind unterschiedlicher Meinung in Bezug auf die Bedeutung der Person Jesu Christi. Aber einig sind sie in der Überzeugung, dass Gott das Heil aller Menschen will. Und dieser Zukunftsoptimismus, ist das beste Mittel gegen Angst, Hass und Gewalt. Er ist die Wurzel, die uns trägt.