BZ-Kolumne

„Nicht nur zur Weihnachtszeit“

Stellen Sie sich vor, jeder Abend wäre Heiligabend. Sobald es dunkel wird, wird der Baum angezündet, der „bunte Teller“ rausgelegt mit Spekulatius und Gebäck, im Sommer wird man die Vorhänge vorziehen müssen, bevor man „Stille Nacht, Heilige Nacht“ singen kann.

Das kann nur ein Scherz sein? Das ist die bitterböse Satire „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ von Heinrich Böll.

Ganze zwei Jahre inszeniert Onkel Franz für Tante Milla jeden Abend Heiligabend. Und während der Weihnachtsengel vom Baum herab „Frieden, Frieden!“ haucht, geht rund um den Baum Tante Millas Familie kaputt.

Zum 100. Geburtstag von Heinrich Böll und jetzt in der Adventszeit kann ich „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ sehr empfehlen. Ich habe sehr gelacht.

Dabei gibt es Tante Milla leider auch im wirklichen Leben. Menschen, die die Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen und sich in eine Traumwelt flüchten. Ihre Familie will sie nur sehen, wenn sie einem absurd überhöhten Ideal entsprechen.

Dabei ist Weihnachten ganz anders. Wer die Weihnachtsgeschichte im Lukas-Evangelium nachliest, findet keine Idylle und keinen Zuckerguss, kein Lametta und keine falsche Romantik. Der Sohn Gottes kommt nicht in einem bürgerlichen Wohnzimmer zur Welt, es gibt keinen Teller mit Spekulatius, die ersten Glückwünsche kommen von Hirten, also von einfachen Leuten. Und auch der „Friede“, den der Weihnachtsengel in die Wohnzimmer-Gemütlichkeit haucht, ist keine schöne Idee, sondern eine Aufgabe, eine Herausforderung, der wir uns stellen, im Großen und im Kleinen.

Heinrich Böll lässt Abend für Abend „Stille Nacht“ singen, das vermutlich meist gespielte Weihnachtslied und Inbegriff der weihnachtlichen Gemütlichkeit. Vermutlich hat er aber nicht mitgesungen, denn da singen wir in der zweiten Strophe den entscheidende Satz: „Christ, der Retter ist da!“

„Christ, der Retter ist da“, das ist die Botschaft von Weihnachten. Nicht wir selbst müssen die Welt retten, weder die große noch unsere kleine „heile Welt“.

„Christ, der Retter ist da“, ist für uns da, gerade dann, wenn wir selbst nicht mehr weiter wissen.

„Christ, der Retter ist da“, nicht nur zur Weihnachtszeit.