BZ-Kolumne

Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus

„Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab“ (Lk 10,30), mit diesen Worten beginnt der vermutlich bekannteste Fall von unterlassener Hilfeleistung. Mit dem Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“ erklärt Jesus drastisch und anschaulich, was er mit Nächstenliebe meint. Der erwähnte Mann wird überfallen und halb tot liegen gelassen, zwei Männer gehen eilig vorbei, erst der dritte leistet erste Hilfe und bringt den schwer Verletzten in ein Herberge und kommt noch für die Kosten auf.

Papst Franziskus hat in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ diese Geschichte wiederentdeckt als Handlungsmodell auch für unsere Zeit. Denn „Fratelli tutti“ ist keine italienische Vorspeise sondern das Programm des ganzen Textes und spricht die „Brüder alle“ an, gemeint sind – natürlich – alle Geschwister: „Das Gleichnis zeigt uns, mit welchen Initiativen man eine Gemeinschaft erneuern kann, ausgehend von Männern und Frauen, die sich der Zerbrechlichkeit der anderen annehmen.“

Für mich ist das der stärkste Teil eines insgesamt recht langen Textes, weil Papst Franziskus nicht von abstrakten Idealen oder einer „sozialethischen Moral“ schreibt. Wir sollen und von Leid, Armut und Vereinzelung berühren lassen, es muss „uns so empören, dass wir unsere Gelassenheit verlieren und von dem menschlichen Leiden aufgewühlt werden.“ Dann kommt man auch nicht auf die Idee, einfach weiterzugehen wenn jemand unsere Hilfe braucht.

Denn Nächstenliebe unterscheidet nicht nach kulturellen, geographischen oder religiösen Unterschieden. Und – so Papst Franziskus weiter – Nächstenliebe ist auch kein Privileg für religiöse oder gläubige Menschen. Im Gleichnis gehen zwei kirchliche Mitarbeiter – würde man vermutlich heute sagen – an dem Schwerverletzten vorbei: „Die Tatsache, an Gott zu glauben und ihn anzubeten, gewährleistet nicht, so zu leben, wie es Gott gefällt“. Umgekehrt gilt, was schon Erich Kästner wusste: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“ und zwar ohne Ansehen der Person. Nächstenliebe ist keine Idee, sondern konkretes Tun.