BZ-Kolumne

In Berlin ist die Vergangenheit überall präsent

Wer in Berlins Mitte bauen will, kann ein Lied davon singen. Sobald man ein wenig tiefer gräbt, muss man damit rechnen, dass einem das Grundwasser entgegen kommt.

Auch was die jüngere Geschichte angeht, ist der Grundwasserspiegel nirgends so hoch wie in Berlin. Sobald man in der Vergangenheit „gräbt“, ist diese sofort wieder präsent. An vielen Ecken gibt es Mahnmale, Erinnerungsorte, Stolpersteine, und Gebäude, deren frühere Nutzung noch gut erkennbar ist. In Berlin und Brandenburg wurden viele Todesurteile gefällt und auch vollstreckt, Konzentrationslager in Sachsenhausen und Ravensbrück reichen bis an die Grenzen der Stadt heran.

In diesem Jahr wird wieder viel „gegraben“, gibt es viele Gedenktermine, denn im Mai vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg mit der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus. In den Monaten davor wurden die furchtbaren Konzentrationslager befreit. Aber das Morden und der Holocaust  gingen durchaus weiter. So wurde am 23. Januar 1945 der Bergmann und katholische Gewerkschafter Nikolaus Groß in Plötzensee hingerichtet. Er verstand sich als Widerständler und wurde im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 zum Tod verurteilt.

An ihn und die viele Ermordeten zu erinnern, das ist keine rückwärtsgewandte Nostalgie. Gedenken ist nach vorne gerichtet. Wenn wir in der Vergangenheit graben, dann weil wir wissen, dass dort die Fundamente für unser heutiges Tun liegen. Gedenken nimmt die Verantwortung für die Vergangenheit ernst und ermöglicht es uns erst, eine Perspektive für die Zukunft zu entwickeln. Wenn es uns ernst ist mit dem „Nie wieder“ – nie wieder Krieg, nie wieder Willkür-Herrschaft und Massenvernichtung – müssen wir uns mit dem befassen, was geschehen ist, dürfen wir die nicht vergessen, die für ihre Überzeugungen oder wegen ihrer Religion oder Rasse ermordet wurden.