BZ-Kolumne

Klassisches Abendbrot

„Schnittchen-Dämmerung in der Hauptstadt“, die B.Z. hat vor einigen Tagen Alarm geschlagen, denn dem „klassischen Abendbrot“, das den Namen noch verdient, also tatsächlich mit Brot, Wurst und Gürkchen droht das Aus! Um die Wurst – und vegetarische oder vegane Alternativen – geht es mir dabei gar nicht. Was ich nicht vermissen möchte, ist das Brot, das frisch aufgeschnitten wird, der Brotkorb aus dem sich alle bedienen können, der eine Teller mehr – wenn Freunde der Kinder spontan zum Abendbrot bleiben wollen – das „kannst Du mir mal die Butter rüber geben“ oder das Brote schmieren für die, die das noch nicht – oder nicht mehr? – selber so gut können. Das darf nicht aussterben!

Ähnlich wie bei seltenen Tierarten haben auch gemeinsame Mahlzeiten „natürliche Feinde“: unterschiedliche und unregelmäßige Arbeitszeiten oder Freizeitaktivitäten führen dazu, dass die einzige Gesellschaft beim Abendessen nur noch Kühlschrank oder Mikrowelle sind.
Mehr und mehr Menschen sitzen nicht mehr am Abendbrot-Tisch, sondern essen nur noch im Stehen, im Vorübergehen oder vor dem Fernseher und Smartphone. Aus Südkorea kommt „Meokbang“: wer nicht alleine essen will, kann einem Youtuber beim Essen zusehen.

Wer das Glück hat, nicht allein zu leben, sollte alles unternehmen, um zumindest einmal am Tag gemeinsam zu essen, denn wichtiger als das, was auf den Tisch kommt, sind die, die sich um den Tisch versammeln. Und selbst wer allein lebt, sollte an bestimmten Ritualen festhalten: sich den Tisch decken, sich setzen und sich in Ruhe auf das Essen konzentrieren.

Denn wenn wir Essen nur als unvermeidliche Nahrungsaufnahme begreifen, verlieren wir den Respekt. Wir verlieren den Respekt voreinander, vor den Lebens-Mitteln im buchstäblichen Sinn, vor denen, die sie uns bereitet haben – vom Bauern über den Müller bis zum Bäcker – und vor Gottes guter Schöpfung.