BZ-Kolumne

Ohne Rücksicht funktioniert unser Zusammenleben nicht

„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ - Diese etwas zynische Devise kommt mir immer wieder in den Sinn. Wenn mal wieder jemand in die U-Bahn einsteigt und direkt am Eingang stehenbleibt – er muss ja ganz bald wieder aussteigen. Wenn jemand auf die Kreuzung zurast, damit er es noch bei „dunkelgelb“ schafft – schließlich hat er es ziemlich eilig. Wenn jemand unmittelbar am Ende der Rolltreppe stehen bleibt – er muss sich erst mal neu orientieren, wo es lang geht. Dass andere auch noch in die U-Bahn wollen, dass Fußgänger gefährdet werden oder es zum Stau auf der Rolltreppe kommt, ist egal.
„Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“. Offensichtlich nicht!

Weil wir gerade beim Straßenverkehr waren: In der Fahrschule lernt man, vor dem Abbiegen in den Rückspiegel zu schauen und den sog. „Schulterblick“, denn nicht nur im Straßenverkehr gilt: Rücksicht hat nichts mit „rückwärtsgewandt“ oder „von gestern“ zu tun. Ohne Rücksicht funktioniert der Straßenverkehr nicht, ohne Rücksicht funktioniert aber auch unser Zusammenleben nicht.

Ich plädiere für eine Gesellschaft, in der auch an die gedacht wird, an die keiner denkt, für ein rücksichtsvolles Zusammenleben, das sich auch um die sorgt, um die sich keiner sorgt, für Solidarität, die denen hilft, die sich eben nicht selbst helfen können.

Ich weiß, Rücksicht kann man nicht verordnen, Rücksicht ist eine Haltung, die ich – gerade am Beginn des neuen Jahres mit all den guten Vorsätzen – wieder dringend empfehle.

Aber heißt das jetzt, man darf gar nicht an sich selbst denken? Jesus hat dazu gesagt: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst“ (Mk 12,31). Auf die Balance zwischen dem „Nächsten lieben“ und dem „wie Dich selbst“ wird es ankommen. Und darauf, nicht zu kleinlich zu sein in der Frage, wer denn eigentlich mein Nächster ist.