Ausschreibung für eine Sozialwissenschaftliche Studie zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in den (Erz-)Bistümern Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz

Die (Erz-)Bistümer Berlin, Dresden-Meißen und Görlitz beabsichtigen, eine sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, um die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst voranzubringen. Die Untersuchung soll in einem ersten Schritt Missbrauchsfälle erfassen und Verantwortlichkeiten benennen. Die Befunde früherer Untersuchungen sollen dabei einbezogen werden. Die Ergebnisse sollen einer qualitativen Bewertung nach historischen, theologischen, soziologischen sowie juristischen Gesichtspunkten unterzogen werden. Darauf aufbauend soll die Studie Handlungsempfehlungen erarbeiten und sich dabei an den Fragen orientieren, welche Bedingungen notwendig sind, damit Betroffene handlungsfähig werden, damit Täter Verantwortung übernehmen und damit Gemeinden sich ihrer Vergangenheit stellen und Lehren für die Zukunft ziehen.

Ziel der Studie: Die Studie soll folgende Ziele erreichen:

  1. die quantitative Erhebung von sexuellem Missbrauchs Minderjähriger und schutz- oder hilfebedürftiger Erwachsener durch Kleriker und sonstige Beschäftigte im kirchlichen Dienst in den beteiligten (Erz-)Bistümern
  2. die qualitative Bewertung nach historischen, theologischen, soziologischen sowie juristischen Gesichtspunkten
  3. die Untersuchung des administrativen Umgangs mit Tätern, Täterinnen und Betroffenen
  4. die Identifizierung von Strukturen, die sexuellen Missbrauch ermöglicht, erleichtert oder dessen Aufdeckung erschwert haben
  5. die Ermittlung von Faktoren für gelingende Aufarbeitung in Anlehnung an das Restorative-Justice-Konzept, die sich an den Fragen nach den Bedingungen, welche notwendig sind, damit Betroffene handlungsfähig werden (Ermächtigung), damit Täterinnen und Täter Verantwortung übernehmen (Verantwortung) und damit Gemeinden sich ihrer Vergangenheit stellen und Lehren für die Zukunft ziehen (Partizipation) orientiert

Konkretisierung

Ermächtigung: Das Teilprojekt erforscht Bewältigungsstrategien von Betroffenen und die verschiedenen Rahmenbedingungen, sowie deren Einfluss auf die Faktoren, die zum Gelingen beigetragen haben. Das Projekt soll anknüpfen an das Konzept der Resilienz und das Belastungs-Bewältigungsparadigma, das Menschen Kraft aus der Bewältigung schöpfen lässt.

Verantwortung: Das Teilprojekt betrachtet den Übernahmeprozess der Täterrolle. Ausgangspunkt ist eine Soziologie der Interaktion und Identität. Betrachtet werden sollen bekannte Mechanismen und Verhaltensmuster zur Aufrechterhaltung der Autonomie des Individuums mit der Erweiterung des Stigmakonzeptes um die strukturellen Bedingungen. Zu berücksichtigen ist die Einflussnahme der gesellschaftlichen Erinnerungskultur auf die Übernahmeprozesse. Das Ziel der Forschung ist die Ableitung von Bedingungen, die es ermöglichen, den Prozess der Rollenübernahme in ein konstruktives Bewältigungsverhalten münden zu lassen.

Partizipation: Es ist damit zu rechnen, dass Gemeinden, verstanden als sozialer Raum, in dem Taten stattfinden konnten, in eine Krisensituation geraten und die Übernahme des Geschehenen als Teil ihrer institutionellen Identität abwenden. Ziel der Forschung ist es unter Bezugnahme auf Konzepte wie Sozialraumorientierung und Sozialkapital Erkenntnisse zu generieren, die zur Partizipation der Gemeinden an der Aufarbeitung beitragen. Besonders zu beachten ist dabei die Fallhöhe, die im katholischen Kontext aus der Differenz zwischen verkündigter Botschaft und der Realität des Geschehenen resultiert.

Aufgaben des Forschungsteams: Das Forschungsteam wird gebeten, folgende Aufgaben zu übernehmen:

  1. Datenerhebung und -auswertung unter Berücksichtigung historischer, theologischer, soziologischer sowie juristischer Gesichtspunkte
  2. Zusammenstellung und Analyse von Daten und Erkenntnissen, die in bereits durchgeführten einschlägigen Forschungsprojekten mit Bezug zu den beteiligten (Erz-)Bistümern gewonnen wurden (z. B. MHG-Studie, AG SED, Staatssicherheit und katholische Kirche in der DDR, Berliner Gutachten RSD)
  3. Durchführung qualitativer Interviews mit Betroffenen, Beschuldigten/Tätern und Gemeindevertretern zur Erfassung individueller Erfahrungen und Perspektiven
  4. Erarbeitung von Handlungsempfehlungen basierend auf den Forschungsergebnissen

Anforderungen an das Forschungsteam:

  1. Erfahrung in der quantitativen und qualitativen Erfassung, Analyse und Bewertung von sexuellem Missbrauch
  2. Erfahrung in der Durchführung sozialwissenschaftlicher Studien, vorzugsweise im Bereich sexueller Missbrauch oder vergleichbarer Themen
  3. Interdisziplinäre Expertise im historischen, theologischen, soziologischen sowie juristischen Bereich
  4. Erfahrung im Umgang mit sensiblen Themen und Betroffenenarbeit
  5. Fähigkeit zur veröffentlichungsfähigen Aufbereitung komplexer Daten in verständlicher Form für verschiedene Zielgruppen

Zeitlicher Rahmen: Der Zeitraum für die Durchführung der Studie beträgt drei Jahre ab Vertragsabschluss.

Das Ausschreibungsverfahren erfolgt in zwei Stufen:

  1. Interessierte Forschungsteams werden gebeten, bis zum 16. Mai 2025 ein Forschungsexposé (inklusive Kostenplan) von ca. 20.000 Zeichen einzureichen.
  2. Ausgewählte Forschungsteams werden anschließend gebeten, eine detaillierte Ausarbeitung des Forschungsvorhabens von ca. 50.000 Zeichen einzureichen.

Von der Interdiözesanen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs (IKA) am 27. Januar 2025 in dieser Form beschlossen.

Für Rückfragen und Einreichungen kontaktieren Sie bitte:
Büro des Erzbischofs von Berlin
Clément Azéma, Persönlicher Referent
Hausvogteiplatz 12, 10117 Berlin
Tel.: 030/46309737
E-Mail: Sekretariat.Erzbischof(ät)erzbistumberlin.de


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