"Draußen brennt der Tempel. Das ist auch ein Gotteshaus." Gedenkworte an Dompropst Bernhard Lichtenberg im Konzerthaus

Gedenkworte an Dompropst Bernhard Lichtenberg im Konzert zum 250. Weihejubiläum der Sankt Hedwigs-Kathedrale am 9. November 2023, 20.00 Uhr, Konzerthaus Berlin

„Was gestern war, wissen wir. Was morgen sein wird, wissen wir nicht. Aber was heute geschehen ist, haben wir erlebt: Draußen brennt der Tempel. Das ist auch ein Gotteshaus.“ – Beklemmend aktuell sind diese Worte angesichts dessen, was sich im Heiligen Land ereignet und auch auf unseren Straßen in diesen Tagen geschieht. Bernhard Lichtenberg hat diese Worte ausgesprochen, als die große Synagoge in der Oranienburger Straße angezündet worden war. Seit dieser Nacht, dem 9. November 1938, bis zu seiner Verhaftung am 23. Oktober 1941 hat Lichtenberg jeden Tag öffentlich in der Sankt Hedwigs-Kathedrale für die Juden, für die Christen jüdischer Abstammung und andere Opfer der Nazidiktatur gebetet.

Schon 1933, zwei Monate nach Hitlers Machtergreifung, hatte er ein Gespräch vermittelt zwischen dem jüdischen Bankier Oskar Wassermann und Kardinal Bertram, dem Erzbischof von Breslau und Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Leider ergebnislos. Aus Berichten der Staatspolizeistelle Potsdam von 1936 wissen wir, dass ein Gespräch zwischen Lichtenberg, zwei Rabbinern, zwei Pfarrern der Bekennenden Kirche und sogenannten „nichtarischen“ Laien stattgefunden hatte. Das Protokoll vermerkt: „Die Versammlung soll zu dem Ergebnis gekommen sein, dass das deutsche Volk an den Juden viel wieder gutzumachen habe.“ Immer wieder hat Lichtenberg in Eingaben an die Regierung gegen die Behandlung der jüdischen Mitbrüder protestiert.
Sie waren nicht die einzigen, für die er sich einsetzte. Ebenso kümmerte er sich um die Opfer der sogenannten Euthanasieprogramme der Nazis, gegen die Tötung angeblich „lebensunwerten“ Lebens. Er trat für die Kriegsgefangenen ein, betete für die Opfer des Krieges auf allen Seiten. Und mit jedem dieser Proteste riskierte er seine Freiheit und sein Leben. Warum er das tat, wird aus dem Text einer Kanzelvermeldung deutlich, die bei seiner Verhaftung in seiner Wohnung gefunden wurde. Damit wollte er am folgenden Sonntag gegen ein anonymes Hetzblatt protestieren, dass jede Unterstützung jüdischer Mitbürger zum Verrat am deutschen Volk erklärte. Lichtenberg sagte dazu: „Lasst euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren, sondern handelt nach dem strengen Gebote Jesu Christi: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Am 23. Oktober 1941 wurde Bernhard Lichtenberg verhaftet und wegen Volksverhetzung verurteilt. Im Gefängnis wurde er misshandelt und gedemütigt, der Schwerkranke wurde zu den erniedrigendsten Diensten herangezogen.
Er ließ sich davon nicht beirren und nutzte diese Zeit der erzwungenen Untätigkeit für seine eigene geistliche Entwicklung. So lesen wir in seinen Aufzeichnungen:

„Fange also an, meine Seele, am Morgen beim Erwachen langsam und bedächtig zu sagen: ‚Heute will ich alles im Lichte der Ewigkeit ansehen, was mir widerfährt, Freudiges und Schmerzliches, Erhebendes und Niederdrückendes‘. Vielleicht werde ich schon nach einigen Wochen einen zweiten Vorsatz hinzunehmen, ja hinzunehmen müssen, denn ich bin schon gewahr geworden, was mich hindert: Es ist meine Ungeduld. Also werde ich in Zukunft nach dem ersten Vorsatz langsam und bedächtig sagen: ‚Heute will ich meine Seele besitzen in meiner Geduld‘. Ich weiß, ich werde tausendmal die Geduld verlieren, aber ich werde immer wieder den Vorsatz der Geduld erneuern. Vielleicht werde ich nach einigen Monaten wissen, warum ich so schnell die Geduld verliere: Ich spreche zu schnell; das Herz liegt mir auf der Zunge, ich mache meinem Unwillen zu schnell Luft – und ich werde einen dritten Vorsatz hinzunehmen (…): ‚Heute will ich in keinem Gedanken und in keinem Worte sündigen‘. (…) Jetzt werde ich ein paar Jahre nach diesem Rezept handeln, und wenn ich merke, dass ich immer noch nicht ‚amor et deliciae‘ (Liebe und Vergnügen) meiner Umgebung, meiner Familie, meine Kollegen geworden bin, da werde ich wieder einmal innehalten und der Sache noch tiefer auf den Grund gehen: ‚Wer oder was hindert mich?‘ Und ich werde finden: Trotzdem und alledem, mir fehlt die rechte übernatürliche Gesinnung. Ich will mich bloß lieb Kind bei den Menschen machen und nicht beim lieben Gott. Ich möchte gern gelobt und anerkannt werden. Es ärgert mich, wenn ich getadelt, kritisiert, hämisch beurteilt werde, und so werde ich einen vierten Vorsatz hinzunehmen: ‚Heute will ich alles aus Liebe tun und aus Liebe leiden‘. Jetzt will ich ein paar Jahre nach diesem Rezepte handeln und dann sehen, wie weit ich komme, und der liebe Gott möge mich dabei recht in seine Kur nehmen.“

Die paar Jahre, von denen er hier spricht, bekam Bernhard Lichtenberg nicht mehr. Nach Ablauf seiner Haftstrafe wollten ihn die Machthaber in das Konzentrationslager Dachau überstellen. Auf dem Weg dorthin ist der völlig erschöpfte und schwer Erkrankte in Hof verstorben.

In seiner Grabkapelle in der Unterkirche der Sankt Hedwigs-Kathedrale wird künftig ein Fenster seine Worte enthalten: „Heute will ich alles im Lichte der Ewigkeit ansehen.“ Das Licht der Ewigkeit scheint auch im Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart auf, das wir nach der Pause erleben dürfen: „Lux aeternam luceat eis“ – „das ewige Licht leuchte ihnen.“ Musik kann uns eine Ahnung von diesem Licht der Ewigkeit geben, manchmal auch ein Mensch. So wie Bernhard Lichtenberg.