Friede auf Erden? Wort des Bischofs für die Berliner Morgenpost für die Ausgabe Heiligabend, 24. Dezember 2022

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,4). So steht es im Lukas-Evangelium, so verkünden es die Engel den Hirten auf dem Feld, so lesen wir es heute vor dem geschmückten Tannenbaum in den Familien oder in der Christmette in der Kirche. Auch wenn viele Menschen den Glauben an Jesus Christus nicht teilen und sich dem „Ehre sei Gott in der Höhe“ nicht anschließen, Weihnachten ist ein Fest, das auch Juden, Muslime und Nicht-Gläubige mitfeiern. Das kann ich allein aus den vielen Weihnachtskarten erschließen, die mich in diesen Tagen erreichen.

Vor allem aber verbindet uns die Botschaft vom „Frieden auf Erden“, in diesem Jahr so innig und dringend wie schon lange nicht mehr. Aber dürfen wir überhaupt Weihnachten feiern? Können wir es guten Gewissens tun, wenn Millionen Menschen in der Ukraine buchstäblich „in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes“ (Lk 1,79) – wie es in der Bibel heißt –, weil russische Raketen ihnen Energieversorgung und Infrastruktur weggebombt haben?

Können wir guten Gewissens heute gut essen und uns Geschenke machen? Es ist richtig, auch in Berlin feiern Menschen heute in Armut und Kälte, haben Eltern keine Möglichkeit, ihren Kindern Weihnachtswünsche zu erfüllen. Ein Skandal, der uns nicht unberührt lassen darf, doch nicht weit entfernt von uns kämpfen auch heute Menschen in den Ruinen ihrer Häuser und in zerbombten Krankenhäusern in eisiger Kälte um das nackte Überleben.

Friede auf Erden? Was die Engel den Hirten auf dem Feld vor den Toren Betlehems verkünden, klingt falsch in Kiew, in Saporischschja, aber auch in den Ohren der Ukrainerinnen und Ukrainer, die bei uns Zuflucht gefunden haben.

Friede auf Erden? Auch die Geburt Christi begab sich in unruhigen Krisenzeiten. Von Anfang an war Weihnachten nie das gemütliche Fest, zu dem wir es gemacht haben; auch wir als Kirche haben dazu beigetragen und Zuckerguss und Sternenglanz über das Fest gestreut.

Jesus Christus, der Sohn Gottes, wurde nicht geboren in bürgerliche Gemütlichkeit, er wurde geboren in eine von Flucht, Vertreibung und brutaler Besatzung geprägte Umwelt. Und nach der biblischen Überlieferung wurde der Neugeborene von Maria in eine Krippe gelegt, „weil in der Herberge kein Platz für sie war“ (Lk 2,8). Weihnachten war immer eine Art „Gegen-Fest“, gegen alle Erwartungen und Vorstellungen, die mit der Geburt eines Königs, des Sohnes Gottes, verbunden sind. Gott wird Mensch, er wird solidarisch mit den Armen, Entrechteten und Ausgegrenzten. Seine Geburt wird nicht im „Goldenen Blatt“, sondern den Hirten verkündet.
Wenn Sie in diesem Jahr Ihre Bibel aus dem Regal nehmen und nach der Weihnachtsgeschichte suchen – sie steht im Lukas-Evangelium im zweiten Kapitel – dann blättern Sie doch bei der Gelegenheit neun Monate – aber nur ein Kapitel – zurück. Im ersten Kapitel des Lukas-Evangeliums tritt ein anderer Engel auf: der Engel Gabriel besucht Maria, eine junge Frau, in ihrem Zuhause in Nazareth und kündigt ihr eine Schwangerschaft an: „Fürchte dich nicht, Maria“, sagt er, genauso wie die Engel es den Hirten sagen; „Fürchte dich nicht, denn du hast bei Gott Gnade gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn wirst du gebären; dem sollst du den Namen Jesus geben“ (Lk 1,30f).

Ein Kind? In dieser Zeit? Und wie soll sie die Vaterschaft erklären? Eigentlich spricht einiges dafür, diese Aufgabe abzulehnen. Aber Maria sagt „ja“ und antwortet mit dem „Magnificat“, einem Lobpreis Gottes, der es in sich hat. Maria nimmt das „Fürchte Dich nicht“ auf, sie verbindet große Hoffnung mit dem Kind, das in ihrem Bauch heranwächst. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron / und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben / und lässt die Reichen leer ausgehen“ (Lk 1, 52f), so singt sie. Die „Magd des Herrn“ legt sich fest, auf welcher Seite Gott steht.

Maria, die Mutter Gottes, ist eine starke Frau. Ihr Mut und ihre Entschiedenheit sind mir Vorbild und Hoffnung.
„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2,4).

Aus der Perspektive Marias kann ich auch in diesem Jahr Weihnachten ohne schlechtes Gewissen feiern, kann ich das Gloria aus tiefstem Herzen und voller Überzeugung mitsingen. Denn mit Maria glaube ich an einen Gott, der auf der Seite der Armen, Entrechteten und Verfolgten steht, der auch im Krieg und im Elend an so vielen Orten zur Welt kommt.

Wir geben Gott die Ehre, wir singen im Gloria, wenn wir nicht nachlassen in unserem Einsatz für den Frieden auf Erden. Wenn wir alles dafür tun, was in unserer Macht steht.

Mit meinen Weihnachtswünschen verbinde ich auch einen herzlichen Dank und eine große Anerkennung für die große und spontane Gastfreundschaft und Spendenbereitschaft, in der wir uns verbunden haben.

Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes und friedliches Weihnachtsfest!