Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt ringt Berlin um Fassung. Statt großer Worte und Parolen bieten die Kirchen den Menschen einen Raum zur Trauer.
Berlin (KNA) Nach dem Schock kommt die Trauer. Sie hat am Tag nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt die Kirchen gefüllt. Auch die Seelsorger ringen am Dienstag um das richtige Wort zur schrecklichen Tat.
"Es ist Nacht in Berlin", sagt Erzbischof Heiner Koch. "Ohnmächtig, verzweifelt, wutvoll, so haben viele die Nacht des Terrors erlebt", fasst er die Gefühle seiner Zuhörer zusammen. Rund 400 sind in die katholische Sankt-Hedwigs-Kathedrale gekommen, seiner Einladung zum Gebet gefolgt. Polizisten patrouillieren vor den Buden um die Kathedrale, an denen noch am Vorabend fröhlich gefeiert wurde.
"Hier gibt es nichts zu erklären mit frommen Worten", räumt der Erzbischof nach ersten Orgelklängen ein. "Wir müssen die Leere aushalten, das Nicht-Verstehen-Können. Das ist vielleicht die größte Hilfe, die wir den Trauernden geben können", hofft Heiner Koch. Weihbischof Matthias Heinrich spricht in einem Klagegebet von den nun zerbrochenen Liebes- und Lebensgemeinschaften, "den Kindern, die zu Waisen geworden sind, den Alten, die alleine geblieben sind".
"Unerträglich", empfindet der Erzbischof da, "wie jetzt schon wieder angefangen wird, nach Konsequenzen zu rufen, nach Schuldigen". Dem hält er entgegen: "Wir lassen uns nicht teilen, wir bleiben zusammen." Und vorsichtig schlägt er einen Bogen zum Weihnachtsfest, zum Stern von Bethlehem, der die Geburt Jesu ankündigte: "Seien auch wir in kommenden Tagen ein Stern für einen anderen Menschen."
Ein Stern, wie nach den Worten des Erzbischofs es viele Helfer geworden sind: "Danke" sagt er den Sanitätern, den Polizisten und den Feuerwehrleuten, die in diesem Stunden immer noch im Einsatz sind. So waren an die 20 Notfall-Seelsorger vor Ort, um ihren Beistand anzubieten. "Und wir werden es bleiben, solange unsere Hilfe gebraucht wird", versichert der Diakon Norbert Verse.
Als der Erzbischof seinen Schlusssegen gesprochen hat und die Orgel verklungen ist, erhellen immer mehr Kerzen die große Marienfigur in einem Winkel der Kathedrale. Andere gedenken der Opfer in stiller Versunkenheit. Vor der Bischofskirche ringt Martin Thiele auf die Frage nach seinen Empfindungen um Worte: "Das Schlimmste ist, einer solchen Tat so ohnmächtig gegenüber zu stehen".
Die ehmalige Berliner Grünen-Landesvorsitzende Bettina Jarasch antwortet auf die Frage, warum sie gekommen ist: "Es ist eben eine der wenigen Möglichkeiten, seine Anteilnahme auszudrücken." Politiker fühlten sich jetzt aber "genauso hilflos wie alle anderen Bürger", räumt sie zugleich ein.
Auch in der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, gleich neben dem Ort der Tat, dominiert die Fassungslosigkeit. Eine junge Frau, mit Koffer und Rucksack schwer bepackt, schaut still und mit Tränen in den Augen auf die demolierten Weihnachtsbuden, bei denen so viele Menschen starben oder verletzt wurden. Die Polizei hat das Gelände großräumig abgesperrt, die Kirche selbst ist geöffnet.
Vor dem Eingang liegen ungezählte Blumen und Kerzen. Drinnen hat sich eine lange Menschenschlange gebildet. Dutzende warten geduldig, um sich in eines der beiden Kondolenzbücher einzutragen. "Die Gedächtniskirche ist das Symbol des Friedens im Westen von Berlin", sagt Pfarrerin Dorothea Strauß vor 250 Teilnehmern. Das tägliche Mittagsgebet wird an diesem Tag zum Gedenkgottesdienst für die Opfer von Terror und Gewalt. Unterdessen ist teils schwer bewaffnete Polizei angerückt, geht in und um die Kirche in Stellung. In dem Gotteshaus gedenkt am Abend auch das politische Berlin der Opfer.