Heimat bietenBesuch und Gebet in der Flüchtlingsunterkunft

„Gott ist da, er ist bei uns, immer – auch wenn es uns schlecht geht, wenn das Leben schwierig ist – gerade dann!“ Erzbischof Heiner Koch spricht den BewohnerInnen Mut zu. Sie leben teils seit vielen Monaten in der Notunterkunft in Neuköllns Karl-Marx-Straße, einige mit bereits anerkanntem Asylstatus und – trotz zugewandter Betreuung durch das engagierte Personal der Malteser – zunehmendem Frust aufgrund des Mangels an Wohnungen und Perspektiven.

Zuvor haben sie die vierte Etage des ehemaligen Kaufhauses mit dem Charme einer Fabrikhalle, eigentlich Lagerraum und Nutzfläche für Freizeitaktivitäten, liebevoll hergerichtet. An der Säule in der Mitte hängt ein schlichtes Holzkreuz, das sie selbst getischlert haben, davor steht ein Ikea-Altar auf einem Teppich, bedeckt mit einem schönen Tuch. Heute ist diese Etage eine Kapelle mitten in ihrem Alltag, gesäumt mit Zimmerpflanzen. Die schätzungsweise 60 Bewohnerinnen und Bewohner, darunter viele Kinder, die der Einladung zum Gebet gefolgt sind, sitzen auf Bierbänken. Einige, aber nicht alle sind Christen.

Heiner Koch ist gekommen, um zu segnen. Er segnet die Ikone der Muttergottes von Philermos, die in jeder Flüchtlingsunterkunft des Malteser Hilfsdienstes hängt. Das Original ist in jahrhundertlanger Tradition mit dem Malteserorden verbunden und hat, wie wir später erfahren, selbst eine beeindruckende Fluchtgeschichte. Er segnet das Haus, alle, die darin wohnen und arbeiten. Und er wird selbst gesegnet, das ist den Gastgebern ein Anliegen.

In Zeiten, in denen Menschen angefeindet werden, weil sie Geflüchteten helfen, in denen diese spüren, dass es ein langer, hürdenreicher Weg ist hinein in unsere Gesellschaft und in denen selbige feststellt, dass Willkommenskultur Veränderungsbereitschaft, langen Atem und vor allem ein großes Herz erfordert, braucht es eindeutige Zeichen. Zeichen der Solidarität, der Zuversicht, des „Wir stehen zu Euch und wenn nötig, hinter Euch“. Die Kirche kann das, Heiner Koch hat es heute, am internationalen Tag der Menschenrechte, gezeigt.

„Jeder Mensch ist einzigartig, hat ein unverwechselbares Gesicht. Es ist gezeichnet von dem, was wir erlebt haben. Auch Maria kennt den Schmerz von Flucht und Verlust.“ Deshalb strahle sie nicht vor Lebensfreude. Und doch hat ihr Antlitz etwas Zuversichtliches, gehüllt in den roten Mantel, der in der Ikonographie für die schützende Liebe Gottes steht, mit blauem Saum, die Farbe des Glaubens, der sie trägt. Und auf ein weiteres Detail weist der Erzbischof hin: Die goldene Kette um ihren Hals verleiht ihr königliche Würde, die ausnahmslos jedem Menschen von Gott geschenkt ist.

Heiner Koch gibt der katholischen Kirche im Erzbistum ein Beispiel: Unser jesuanischer Auftrag ist es, für alle Menschen da zu sein, ihnen vorbehaltlos zu begegnen und eine helfende Hand zu reichen – auf Augenhöhe. Den Christen unter den zu uns Geflüchteten und allen, denen danach verlangt, gilt es, auch eine spirituelle Heimat zu bieten durch gemeinsamen Gottesdienst, durch Gebet und mutmachenden Segen.

Ich bin mir nicht sicher, wer von den Anwesenden seine Intention und seine Worte verstanden hat, doch dies ist nach der gemeinsamen Feier und dem anschließenden, ebenso liebevoll vorbereiteten Beisammensein allen klar: es ist ein Würdenträger der Kirche zu ihnen gekommen, der mit ihnen gebetet, gesungen und sich für sie Zeit genommen hat. Die zahlreichen Fotos und Selfies der BewohnerInnen Arm in Arm mit dem Erzbischof sind längst in den Ländern, wo sie ihre Lieben wähnen, angekommen.