Andrea Ciglia
„Jetzt darf ich genau all das leben, was ich gerne mache“
Was soll ich bloß werden? Mit dieser Frage hat sich Andrea Ciglia während seiner letzten Schuljahren in seiner Heimatstadt Pescara lange herumgeschlagen. Der Knoten platzte schließlich in einem Gespräch mit seinem Vater. „Überlege, was du wirklich gern machst und lerne das!“, riet ihm der Vater. „Wofür du es nutzen kannst, wird sich später zeigen“, beruhigte er seinen ältesten Sohn. Der hatte Freude daran, mit anderen Menschen zusammen zu sein, er reiste gerne, liebte Sprachen, lesen und schreiben. Die Literaturwissenschaften schienen dem jungen Italiener ein geeignetes Studienfach, wenngleich er keine Ahnung hatte, was er damit später einmal anfangen wollte.
„Jetzt darf ich genau all das leben, was ich gerne mache“, sagt Andrea Ciglia wenige Tage vor seiner Priesterweihe. Er begegnet unterschiedlichsten Menschen, seine Ausbildung hat ihn nach Deutschland, Chile und in die Niederlande geführt, im Priesterseminar hat er Deutsch gesprochen und auch Spanisch und ein bisschen Polnisch gelernt.
Dass seine Reise- und Fremdsprachenaktivitäten höher sind als gemeinhin unter Priestern üblich, hängt damit zusammen, dass er zum Neokatechumenalen Weg gehört. Er ist in einer Familie dieser Gemeinschaft aufgewachsen und hat sich mit 13 Jahren selbst entschlossen, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Auch wenn er dort erlebte, dass Berufung als Gesprächsthema stetig wachgehalten wurde, hatte Andrea Ciglia als Jugendlicher nie ernsthaft in Erwägung gezogen, Priester zu werden. Ein normales Familienleben mit Kindern hatte er immer vor Augen gehabt.
„Erst mit 22 Jahren, mitten im Studium, habe ich zu meiner großen Überraschung entdeckt, dass Gott mich zum Priestertum ruft“, erinnert er sich. Da er sich nicht sicher gewesen sei, ob da wirklich etwas dran war, lies er sich noch zwei Jahre Zeit zum Überlegen.
Als er seinen Studienabschluss in der Tasche hatte, war er sich endlich sicher. Beim Weltjugendtag in Köln teilte er den Verantwortlichen seiner Gemeinschaft mit, dass er Priester werden wollte. Er war bereit, in eine der weltweit 100 Neokatechumenalen Priester-Ausbildungsstätten „Redemptoris Mater“ zu gehen. Da er als Erasmusstudent bereits einige Monate in Deutschland verbracht hatte, wurde er nach Berlin geschickt. Die zehnjährige Ausbildung dort umfasst das Studium der Theologie und Philosophie und insgesamt drei Praxisjahre, in denen die angehenden Priester in verschiedenen Orten der Welt Familien und Priester der Gemeinschaft in ihren Missionseinsätzen unterstützen.
Die Erfahrungen, die Andrea Ciglia in diesen Praktika und als Diakon in der Kreuzberger St.-Bonifatius-Gemeinde gesammelt hat, haben ihn in seiner Berufung bestärkt, ihn aber auch immer deutlicher verstehen lassen, dass er sie nicht aus eigenen Kräften heraus leben kann. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt (Joh 15,16) hat er als Primizspruch gewählt.
Nach der Priesterweihe wird der 34-Jährige weiterhin in Kreuzberg im Einsatz sein. Besonders liegen ihm dort die Menschen am Herzen, die fern von der Kirche leben, italienische Landsleute zum Beispiel, die hier in Restraurants arbeiten. Es ist Andrea Ciglia ein großes Anliegen, nicht nur bei der Predigt im Sonntagsgottesdienst die Liebe Gottes zu bezeugen, sondern im Alltag, bei Begegnungen auf der Straße oder in der Kneipe.