Abschiedsbesuch mit kritischen UntertönenVor 20 Jahren kam Papst Johannes Paul II. einen Tag nach Berlin

Papst Johannes Paul II. betet am Grab des seligen Bernhard Lichtenberg

Berlin (KNA) Vor 20 Jahren herrschte Ausnahmezustand in Berlin wie sonst nur beim Besuch eines US-Präsidenten: Am 23. Juni 1996 war Papst Johannes Paul II. zu Gast. Es war der Höhepunkt seines dritten - und letzten - Deutschlandbesuchs als Kirchenoberhaupt. Erstmals überhaupt kam ein Papst an die Spree.

Begonnen hatte die Visite bereits zwei Tage zuvor in Paderborn. Dort ging es bei einem ökumenischen Gebetstreffen im Dom vor allem um die Beziehungen zur evangelischen und weiteren christlichen Kirchen. Der Abschluss in Berlin dagegen war geprägt von den historischen Umwälzungen der vergangenen Jahrzehnte.

Im Zentrum standen zwei Seligsprechungen im Beisein von 90.000 Gottesdienstbesuchern im Olympiastadion. Johannes Paul II. erhob damit den früheren Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg (1875-1943) und den Münsteraner Priester Karl Leisner (1915-1945) zu Vorbildern des Glaubens. Beide verloren ihr Leben infolge ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Lichtenberg hatte öffentlich gegen die Judenverfolgung protestiert und starb während der Deportation ins Konzentrationslager Dachau. Leisner kam wegen seiner Kritik an Hitler nach Dachau und starb kurz nach Kriegsende an den Folgen der Haft.

In seiner Predigt würdigte der Papst nicht nur die Christen, die der nationalsozialistischen und später der kommunistischen Diktatur widerstanden hatten. Er schlug auch einen viel beachteten Bogen zum Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland und - rund sechs Jahre nach der Wiedervereinigung - zur Entwicklung der Demokratie in den neuen Bundesländern.

Dabei äußerte er sich zu einem damals aktuellen Konflikt. "Bei Wahrung gegenseitiger Freiheit und Unabhängigkeit ist das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Deutschland auf Kooperation hin angelegt und nicht auf Trennung", betonte Johannes Paul II. Zugleich mahnte er Religionsfreiheit in Bildung und Erziehung an: "Neutral ist der Staat und nicht der Religionsunterricht."

Der Papst spielte damit auf den Streit um Brandenburgs neues Schulfach "Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde" (LER) an, das die Kirchen ablehnten. Sie wollten, dass konfessioneller Religionsunterrichts als ordentliches Schulfach eingeführt wird. Zwei Wochen nach der Papstrede erhoben sie Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Nach einem Vermittlungsvorschlag des Bundesverfassungsgerichts kam es 2001 zum Kompromiss: Brandenburgs Schüler können alternativ zu LER den Religionsunterricht wählen, der allerdings kein ordentliches Schulfach ist.

Das Verhältnis von Christen und Juden spielte im Verlauf der Visite weiter eine wichtige Rolle. Bevor der Papst am Grab Lichtenbergs in der Krypta der Sankt-Hedwigs-Kathedrale betete, traf er mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland zusammen. Im benachbarten Bernhard-Lichtenberg-Haus rief er zum "gemeinsamen Einsatz gegen jegliche Form des Antisemitismus" auf. Zugleich räumte Johannes Paul II. ein, trotz vieler Formen des Widerstands gegen die Nationalsozialisten seien "es doch zu wenige" gewesen, die sich widersetzt hätten. Ignatz Bubis, seinerzeit Zentralrats-Vorsitzender, würdigte anschließend das Engagement des Papstes etwa für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel.

Dann stand die historische Rolle von Johannes Paul II. selbst im Mittelpunkt. Bei einem symbolträchtigen Gang durch das Brandenburger Tor hob der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) dessen Beitrag zum Ende des Kommunismus und zum Fall der Mauer hervor. "Wir Deutsche verdanken Ihnen viel", sagte Kohl unter dem Applaus der Zuhörer, der die Trillerpfeifen von Gegendemonstranten übertönte.

Die Abschlusszeremonie stieß auch andernorts auf Kritik. Der Gang von Papst und Kanzler durch das Brandenburger Tor sei eine "zu enge und zu machtvolle Demonstration" der Beziehung von Staat und katholischer Kirche gewesen, monierte der damalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Klaus Engelhardt. Dies habe den Eindruck erweckt, nur die Bundesregierung und die katholische Kirche hätten die Wende von 1989 herbeigeführt.