„Ehrenamt im Aufbruch“ - unter diesem Namen startet im Herbst ein besonderes Modellprojekt im Erzbistum Berlin. Im Rahmen des Pastoralen Prozesses „Wo Glauben Raum gewinnt“ sollen auf eine ganz neue Art und Weise Ehrenamtliche für ein Engagement in der Kirche gewonnen werden: anhand ihres Charismas. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt von der Ruhr-Universität Bochum.
„Wir erwarten uns von dem Modellprojekt ganz praktisches Handwerkszeug und Hilfestellungen.“ Eva Wawrzyniak freut sich, dass der Pastoraler Raum Potsdam-Michendorf neben St. Laurentius in Berlin-Tiergarten aus zwölf Bewerbern für „Ehrenamt im Aufbruch“ ausgewählt wurde. Die Pastoralreferentin ist die Stadtkirchenbeauftragte und die Hochschulseelsorgerin in Potsdam. Sie nennt die Fragen, die fast alle Pfarreien umtreiben, wenn es um die Gewinnung von Ehrenamtlichen geht: „Wie gewinnen wir Ehrenamtliche, in einer Zeit, in der sich kaum mehr jemand auf Dauer engagieren möchte?“ „Wie gehen wir auf Menschen zu, ohne diese zu verschrecken?“ „Wie qualifizieren wir Leute?“ „Wie schaffen wir eine Anerkennungskultur, die ehrenamtliches Engagement gebührend wertschätzt?“
Der künftige Pastorale Raum Potsdam-Michendorf umfasst die drei Pfarreien St. Peter und Paul in Potsdam, St. Antonius in Potsdam-Babelsberg und St. Cäcilia in Michendorf mit knapp 11.000 katholischen Christen. Neben ländlichen Gebieten gehört die brandenburgische Landeshauptstadt und damit eine Großstadt mit knapp 170.000 Einwohnern dazu. Durch Zuzug vor allem junger Familien wachsen die Pfarreien jedes Jahr um fast fünf Prozent. „Bei uns gibt es aufgrund unseres Wachstums großes Potential für ehrenamtliches Engagement. Darum haben wir uns um die Teilnahme am Modellprojekt beworben“, erklärt Wawrzyniak. Die Neuzugezogenen auf die Kirchengemeinde anzusprechen, sieht sie als Herausforderung.
Charismenorientiertes Ehrenamt
„Es ist davon auszugehen, dass Gott jeder Pfarrei alle Gaben gegeben hat, die sie benötigt“, erläutert Peter Kloss, den Grundansatz des Modellprojektes. „Wir haben nun die Aufgabe, diese Charismen zu entdecken, sie zu heben und sie zur Entfaltung zu bringen.“ Der Referent für Ehrenamtsentwicklung im Erzbischöflichen Ordinariat begleitet das Modellprojekt von Seiten des Erzbistums. Der Weg, der mit „Ehrenamt im Aufbruch“ eingeschlagen werden soll, ziele auf einen Wandel im Umgang mit dem Ehrenamt, erklärt er weiter. Künftig solle das Charisma der Gemeindemitglieder – sprich die Gabe, die Gott einem jeden aus Gnade schenkt – ausschlaggebend sein, für das, was es an ehrenamtlichem Engagement in einer Gemeinde gebe. „Nicht die Pfarrei legt künftig die Aufgabenfelder der Ehrenamtlichen fest, sondern die Ehrenamtlichen bestimmen selbst ihre Aufgabenfelder aufgrund ihrer Fähigkeiten und Charismen“, beschreibt Kloss das Prinzip charismenorientierten Ehrenamtes. „Die Charismen der Leute sind der eigentliche Reichtum der Kirche“, ist er überzeugt.
„Wir versuchen, Ehrenamt ganz neu zu denken.“ Auch Kathrin Speckenheuer spricht von einem Haltungswechsel, der in den Gemeinden notwendig sein wird. Die Theologin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am „Zentrum für angewandte Pastoralforschung“ (ZAP) an der Ruhr-Universität Bochum, das von Professor Dr. Matthias Sellmann geleitet wird und das das Berliner Modellprojekt begleitet. Speckenheuer selbst nennt sich „Charismen-Entdeckerin“ und engagiert sich im Projekt „Taufberufung fördern“ im Erzbistum Paderborn. „Charismenorientiertes Ehrenamt geht nicht von vorgefertigten Aufgaben im Gemeindealltag aus, für die Ehrenamtliche gesucht werden, sondern wendet sich dem einzelnen und seinen Fähigkeiten zu. Sie ist ganz nah am Menschen.“
Potentialtest und Ehrenamtskoordinator
Wie Charismen entdeckt werden können, dazu macht Speckenheuer verschiedene Vorschläge. Sie selbst entwickelt auf Basis des „TalentKompass NRW“ des Arbeitsministeriums Nordrhein-Westfalens einen „Potentialtest“, einen Fragebogen, mit dem man sich über die eigenen Charismen Gedanken machen kann. Er soll in einer Pfarrei gewendet werden, zuerst im Pfarrgemeinderat und dann in konzentrischen Kreisen immer weiter hinaus bis an die Ränder der Kirchengemeinde.
Daneben entwickelt Speckenheuer eine Fortbildung für Ehrenamtskoordinatoren. Darunter versteht sie ehrenamtlich aktive Frauen und Männer, die sich Zeit nehmen, um ihre Mitmenschen darin zu unterstützen, ihre Charismen zu entdecken. „Die Kirche kann den Menschen helfen, ihre Charismen zu deuten.“
Doch was passiert, wenn Charismen entdeckt sind? Wie können sie entfaltet werden? Hierfür rät Speckenheuer, die Gemeinde zu einem Ort der Möglichkeiten umzugestalten. Mit Offenheit sollen die Menschen spüren, dass sie willkommen sind und sich ganz im Sinne ihrer Charismen in die Kirche einbringen können - auch wenn sich dabei die Gemeinde einschneidend verändert. „Wir müssen uns bewusst machen, dass durch die Menschen Gott wirkt und wir ihre gottgeschenkten Charismen mit Gottvertrauen ruhig zulassen können.“
Ganz so freischwebend, kann sich Eva Wawrzyniak das Vorgehen nicht vorstellen. Die Pastoralreferentin spricht von Kristallisationspunkten, die Neuzugezogene oder fernstehende Kirchenangehörige bräuchten, um mit ihren Talenten und Charismen gezielt andocken zu können, und die von den Gemeinden geschaffen werden müssten. So plant die Pastoralreferentin im Rahmen ihrer Stadtkirchenarbeit, ab April 2017 für die Peter-und-Paul-Kirche eine Kirchenführerausbildung anzubieten. 230.000 Touristen kämen jedes Jahr in das Gotteshaus im Stadtzentrum von Potsdam. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir zehn Personen finden, die Freude daran haben, unsere Kirche den zahlreichen Besuchern geistlich, kunstgeschichtlich, architektonisch und theologisch zu erschließen.“