Bansin (KNA) "Pommern und die Ostsee waren für mein ganzes Schaffen mitbestimmend, und ich zehre noch jetzt an den Erlebnissen, die ich dort hatte. Hier gibt es nichts, was damit zu vergleichen wäre." Die Erinnerungen an die See, an modern-mondäne "Kaiserbäder" und alte Ortschaften im Hinterland haben den deutsch-amerikanischen Künstler Lyonel Feiniger zeit seines Lebens begleitet. Ein besonderes Faible entwickelte der vor 150 Jahren in New York geborene Maler, Grafiker und Bauhaus-Meister für die Insel Usedom, über die heute die Grenze zwischen Deutschland und Polen verläuft.
Am 17. Mai 1908 setzte der frisch von seiner ersten Frau Clara geschiedene Feininger erstmals seinen Fuß auf Heringsdorfer Boden. In einer Skizze hielt er diesen Moment fest. Der damals 36-Jährige war sozusagen auf dem Sprung, im Herbst seine Lebensgefährtin Julia Berg zu heiraten, mit der er bereits den im Dezember 1906 geborenen Sohn Andreas hatte. Vielleicht suchte er in Heringsdorf und seinen Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Villen einfach ein wenig Zerstreuung und Entspannung, so wie nach ihm Abertausende von Touristen. Feiniger kam wieder, regelmäßig bis 1921.
Auf einem Rennrad der Marke Cleveland Ohio sorgte er für Aufsehen unter den Inselbewohnern. Und erschloss sich die nähere und fernere Umgebung. Wer will, kann es dem Künstler nachtun und auf zwei Routen von 15 beziehungsweise 40 Kilometer Länge das Terrain erkunden. Feininger selbst hätte über diese Etappen vermutlich nur müde gelächelt. Angeblich legte der frühe Fahrrad-Freak 10.000 Kilometer pro Jahr zurück - eine ganze Menge in einer Zeit, in der die Felgen mitunter noch aus Holz und nur die wenigsten Straßen befestigt waren.
Unterschätzen sollte man die Exkursionen auch heute nicht. Das Gelände ist leicht wellig - und hin und wieder kommt auch schon mal eine steife Brise von vorn. Als Belohnung winken Bilderbuchansichten von Usedom und dazu stille Ecken abseits übervoller Strände in der Hauptsaison. Lediglich auf die Passage von Bansin ins polnische Swinoujscie (Swinemünde) entlang "Europas längster Strandpromenade" trifft das nicht zu. Dafür gibt es Bäderarchitektur vom Allerfeinsten zu bestaunen.
Zum Beispiel die Villa Oppenheim in Heringsdorf. Sie gehörte der gleichnamigen jüdischen Bankiersfamilie, war Treffpunkt der High Society und zählte zu Feiningers Lieblingsmotiven. Kurz nachdem die Nationalsozialisten 1933 an die Macht gekommen waren, enteigneten sie die Oppenheimers und degradierten den eleganten Prachtbau zur NSDAP-Ortszentrale. Abgründe der deutschen Geschichte, die auch Feininger 1937 zur Rückkehr in die USA zwingen sollten.
Einen guten Teil der Feininger-Radtour hat der Reisende auf zwei Rädern die Landschaft und Dörfer für sich. Es geht nach Kamminke, einen verträumten Fischerort am Stettiner Haff, nach Mellenthin, dem Mittelpunkt der Insel mit Wasserschloss aus der Renaissance samt Restaurant und Brauerei oder nach Neppermin.
Als "Peppermint" ("Pfefferminz") oder "Nevermind" ("Macht nichts") verballhornte Feininger in Briefen an seine Julia den von ihm geliebten Ort. In dem idyllisch am Achterwasser gelegenen Dorf entstanden viele seiner gezeichneten "Naturnotizen", aus denen später so manches Gemälde hervorging. Die Urlaubspost aus Usedom unterschrieb der Künstler gern mit "Papileo", wie "Papa Leonell" im Familienkreis genannt wurde.
"Papileo auf Usedom" heißt deswegen auch das Begleitbuch zur Tour, verfasst von Martin Bartels. Er war über viele Jahre Pastor in der evangelischen Sankt-Petri-Kirche von Benz. Das jahrhundertealte Gotteshaus blieb für Feininger offenbar ein mystischer Ort. Noch 1955, im Jahr vor seinem Tod, zeichnete er sie als Aquarell. Über die Durchgangsstraße von Benz führt ein Weg hinauf zur imposanten Mühle des Ortes. Zu Füßen des "Erdholländers" von 1830 befindet sich eines der schönsten Freiluftcafes der Insel. Der Blick schweift in die Ferne, hinter dem Kirchturm schimmert einer der vielen Seen Usedoms. Grün die Wälder, gelb die Stockrosen, blau der Himmel. Hier weht ein guter Geist - vielleicht ist es ja der von Feininger.